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Vorschlag

■ Die „Goldenen Zwanziger“ in Text und Bild bei Bodo Niemann

Louis Douglas und Marion Cook in der Revue „Von Mund zu Mund“, 1926 Abbildung: Galerie

Deutschland, 1922: Die junge Weimarer Republik taumelt von einer Krise in die nächste, Rechtsradikale ermorden den Außenminister Walter Rathenau vor seiner Villa im Grunewald, die Inflation erreicht ihren Höhepunkt – und Berlin amüsiert sich prächtig. 38 Theater und 167 Kabaretts zählt man in der Stadt, das Geschäft blüht. Es ist die Zeit der großen Revuen. Sie tragen Titel wie „Für Dich“, „Von Mund zu Mund“ oder „Es liegt in der Luft“, und man kann sich sicher sein: Jede scheinbar noch so unverfängliche Anspielung war garantiert doppeldeutig gemeint.

„Etwas verrückt“ heißt die liebevoll und aufwendig gestaltete Ausstellung, mit der die Galerie Bodo Niemann den „Goldenen Zwanzigern“ ihre Referenz erweist. Zum Teil noch nie gezeigte Fotos der jungen Marlene Dietrich oder der „Tillergirls“, handkolorierte Bühnenentwürfe und seltene Programmhefte aus Privat- und Museumsbesitz zeichnen das Bild einer Epoche, über die Stefan Zweig in seinen Lebenserinnerungen schrieb: „Die Deutschen brachten ihre ganze Vehemenz und Systematik in die Perversion, Berlin verwandelte sich in das Babel der Welt.“

Das Babel der Welt war eine Männerwelt: Was man in der Galerie Niemann zu sehen bekommt, sind Frauen, Frauen, Frauen. Barbusig, angetan mit merkwürdigem Kopfputz und phantasievollen Restkostümen. Doch sie forderten auch ihre Rechte, die Dietrichs, Waldoffs und Massarys: Marlene Dietrich sang, bevor sie nach Hollywood ging, „Wenn die beste Freundin mit der besten Freundin“, Claire Waldoff trällerte was von der „Hannelore mit dem Bubikopf“, die einen Bräutigam hatte und „auch mal eine Braut“. Trotzdem will sich die Vision vom „sündigen Berlin“ beim Betrachten der alten Aufnahmen nur bedingt einstellen. Seltsam ungelenk, unfreiwillig komisch und fast ein wenig rührend wirken die auf Fotoplatte gebannten Stars von damals. Der Tanz auf dem Vulkan: vielleicht doch eher bloß ein Tänzchen. Ulrich Clewing

„Etwas verrückt“, bis 10.2., Di.–Fr. 12–18 Uhr, Sa. 11–14 Uhr, Galerie Bodo Niemann, Knesebeckstraße 30, Charlottenburg

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