Die Gärtnerei ist schwer im Kommen Von Ralf Sotscheck

Es ist jedes Jahr dasselbe. Eine Woche vor Silvester setzt in den Zeitungen die Flut von Bilanzen ein: Jedes läppische Ereignis des zu Ende gehende Jahres wird wiederaufbereitet und mit einem altbekannten Foto versehen. Kaum hat man Neujahr den gebündelten Unfug zum Altpapier gegeben, da geht es mit den Prognosen für die nächsten zwölf Monate los. Den Redakteuren seien die ungestörte Weihnachtsvöllerei und der hemmungslose Silvesterrausch ja gegönnt, aber dann sollen sie den Laden lieber für zwei Wochen dichtmachen, statt verschnarchte Rückblicke und flachsinnige Weissagungen vorzuproduzieren.

Die britischen und irischen Blätter haben es diesmal besonders ungeniert getrieben. Der Wirtschaftsteil des Independent on Sunday hat den „Industriellen des Jahres“ gewählt: Sir David Simon von BP, weil sich der BP-Aktienpreis 1995 mehr als verdoppelt hat. Prima, Sir David, aber ein zweistöckiges Katzenklo haben Sie nicht erfunden. Für den Independent war das die „Erfindung des Jahres“. Das irland journal hat Bono, den Leadsänger der Dubliner Kapelle U 2, in geheimer Abstimmung zum „Arschloch des Jahres“ gewählt, weil er sich von Pavarotti mit „Gott“ anreden läßt und bei seinen Konzerten dauernd von der Bühne aus mit einem Handy im kriegsgebeutelten Sarajevo angerufen hat. Bloß hat's dort keiner gemerkt. Die Leute waren wohl anderweitig beschäftigt. Und die irische Sunday Tribune schließlich hat eine Hitliste der „Verstorbenen des Jahres“ aufgestellt. Musiker Rory Gallagher und Ex-Außenminister Brian Lenihan waren die Topleichen 1995.

Außerdem hat das Dumpfblatt die „sozialen Absteiger des Jahres“ ermittelt: Barbie, die eine kleine Schwester bekommen hat, Cannabis, die langweiligste Droge der Welt, und die nigerianische Regierung, weil sie „Ken Saro- Wiwa und acht andere ermordet“ hat. Der Guardian hat Saro-Wiwa den Buchstaben „K“ im ABC des Jahres 1995 gewidmet. „F“ stand für Fischer, Joschka: „Der deutsche Grünenführer erlebte 1995 einen kontinuierlichen Anstieg der Stimmanteile seiner Partei.“ Glückwunsch. Wer wäre nicht gerne das F des Jahres?

Und was passiert im neuen Jahr? Ein paar Kolumnisten haben sich ihre Gedanken gemacht. Montagu Don prophezeit, daß die Gärtnerei als paneuropäisches Hobby schwer im Kommen ist; Paul Wilson glaubt, daß noch mehr Fußball im englischen Fernsehen laufen wird (Ach was. Findet nicht die Europameisterschaft im Juni in England statt?); Andrew Rawnsley sieht John Major „wash and go“; Charlotte O'Sullivan glaubt, daß alle Kinohits dieses Jahres in Schwarzweiß oder in schutzigem Braungrau gedreht sein werden; Euan Ferguson schließlich ist davon überzeugt, daß Prinz Charles endlich einen Hut tragen wird. Damit hätte er zwei seiner Probleme auf einen Schlag gelöst: seine Ohren und seine fortschreitende Glatzköpfigkeit. Diana wird vor Wut kochen.

Und die Irish Times rät ihren Lesern, schon jetzt für das nächste Weihnachtsfest zu sparen, damit man zum Neujahr 1997 nicht schon wieder den Vorsatz fassen muß, den Gürtel für eine Weile enger zu schnallen. Mein guter Vorsatz steht jetzt schon fest: Zwischen dem 25. Dezember und 10. Januar kommt mir keine Zeitung ins Haus.