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■ Marburg veranstaltete seine ersten KomiktageEs geht immer bergauf

Sogar Rockbands können es: bis drei zählen. Ach was, bis vier geradezu. „Won-tuu-ßrii-foar“ grölt zumeist der Schlagzeuger – und dann geht's ab. In Marburg geht's nicht ab. Und bis drei zählen gehört hier auch nicht zum Standard. Aus der Großstadt kommend, ist man schon erstaunt, daß Gleis 2 und Gleis 4 in direkter Nachbarschaft liegen. Ganz verwirrt tritt man dann den Weg ins Stadtinnere nach Marburg an. Der ist beschwerlich, denn: in Marburg geht es immer bergauf. Kurz vor vernunftbegründeter Aufgabe jedoch gelangt man an einen von Buchläden eingekesselten Sattelpunkt.

So viel unfreiwillige Komik begegnete einem bei der Besteigung, daß sich nun erstmals Zeit bot, nach dem eigentlichen Ziel dieser Exkursion, nach gezielter Komik, nach dem Austragungsort der Marburger Komiktage zu forschen. Wo alles zum Lachen ist, ist nach Komik zu suchen selbst schon wieder eine Tätigkeit, die zu Heiterkeitsbekundungen animiert. Du kommst und gehst zwar als Fremder, aber lachen, das geht.

Wie ich mich also dort so „ausschüttete“, kam ein leicht ergrauter Mann, flankiert von einigen Genossen, des Weges und ward von mir sofort als Komiktage-Teilnehmer Robert Gernhardt, das lustige Haus aus Frankfurt, identifiziert. Ich erkannte ihn (ich habe alle seine Platten), er mich aber natürlich nicht. So schloß ich mich unter falschem Namen, den ich nicht einmal mitteilte, der kleinen Prozession an. Doch führte Gernhardt mich direkt zum Drogerie-Discount „Schlecker“. Dort fand zwar sehr wohl eine „Fotoaktion“ statt, nicht aber die von mir ersehnten Komiktage.

Nach allerlei Strapazen am Ziel angekommen, kannte ich Marburg mittlerweile so gut, daß ich mir folgendes Urteil erlauben möchte: Marburg ist überaus säkularisiert, metaphysisch allein der „Oberstadtaufzug“, mit dem man sekundenschnell in die Hölle, die „Unterstadt“, brausen kann. Dort ist alles Baustelle, jedoch ist der Aufzug auch Wegbereiter zurück in die heimelige Oberstadt.

Die Komiktage waren dann lustig, das waren sie und das sollten sie ja auch sein, was durch die Wahl der ausstellenden und vortragenden Künstler wie Funny van Dannen, Gerhard Henschel, Eugen Egner, Simone Borowiak, F.W. Bernstein, Harry Rowohlt und all den anderen freundlichen Menschen ja auch a priori gesichert war.

Es gibt ja die alte Regel, daß man in einer Liebe nicht alles teilen dürfe, wegen Routine und so, und deshalb konnte ich auch Gernhardt nur halb genießen, allzu nahe waren wir uns gewesen, als wir beinahe zeitgleich im Schlecker unseren Wattebausch- und Zahnseidevorrat aufgefrischt hatten. Jedoch: Ein Marburger Mädchenkommando, das seine heiteren Pamphlete mit der empirisch einwandfrei bewiesenen These „Die Macht der Schwänze hat ihre Grenze“ unterzeichnete, grub den Humorschaffenden das Wasser ab. So lustig und zum Lachen wie die Mädels waren die nicht.

Das angekündigte Kommen von Wiglaf Droste hatten provinzgetreu einige Frauen als Grund auserkoren, Mundwinkel nach unten vor der Tür der alten Aula umherzupatrouillieren, auf der Suche nach Sexisten. Eine Stellwand war ihnen dabei behilflich. Direkt neben einem Aufruf zur Teilnahme am „Landeskonvent bayerischer Studierender“ hatten ein paar Kritzlerinnen Droste mit dem Edding quasi erdolcht. Den Namen des wildernden Künstlers colorierten sie gefährlich anmutend mit roten Stricheleien, was sowohl als Lagerfeuer als auch als Sonne interpretierbar war. Die Sonne so rot, die Schwestern so doof wie das Brot: Ein Flugblatt von „einigen Blockiererinnen aus Nürnberg“ gestand den Sexismussturmbandführerinnen freundlich das Schwänzen dieses groben Unfugs zu: „Das braucht also in anderen Städten nicht mehr stattfinden, wenn ihr keinen Bock habt, Euch seine Scheiße anzuhören.“ Erratisch humanum est.

Die Ortsgruppe störte ein bißchen vor sich hin, sie zeterte und verstieg sich in tagespolitischen Betrachtungen wie dieser: „Ist ja echt interessant, mal zu sehen, was da so für Leute hinkommen. Voll niedlich mit Kaffee und Kuchen“, ganz so, als sei gute Ernährung ein untrügliches Anzeichen für latenten Faschismus, Sexismus und Satanismus. Geschickt mischten sie sich unter die Zuhörer, ihre mentale Zerstreutheit auch räumlich zum Ausdruck bringend. Da Droste aber mit Stirnhöhleneiterreservaten zu kämpfen hatte, entfiel sein Vortrag, und die Truppe machte lila Pause und zog von dannen, Veits- und Formationstänze vollführend, „juuuuu“-belnd und kreischend.

Das Komik- und Satireverständnis dieser Bevölkerungsabordnung Marburgs mag verschrecken, ist jedoch für den aufmerksamen Beobachter leicht zu verstehen: Aus dem Oberstadtaufzug kommend, tritt man direkt in einen Buchladen, in dem eine dialektische Humordefinition getroffen wird. Im versteckt gelegenen Regal mit der Aufschrift „Humor“ stehen eine Beethoven-Büste und eine Auswahl Kochbücher. Benjamin v. Stuckrad-Barre

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