Mehr Show, mehr Geld

Immer schneller rasen die Abfahrtsläufer die berüchtigte „Streif“ am Hahnenkamm hinunter  ■ Aus Kitzbühel Holger Gertz

Am Ende trug auch Günther Mader Zeichen des Kampfes im Gesicht, aber diesmal war die Streif nicht schuld. Hinabgebraust war der Österreicher schneller als alle anderen tollkühnen Männer, die sich jemals auf die Kitzbüheler Abfahrtspiste gewagt hatten, mit 1:54,29 Minuten brach er den vier Jahre alten Streckenrekord des Schweizers Franz Heinzer. Keine Chance für den Franzosen Luc Alphand; der bislang beste Mann wurde nur Zweiter.

Gefragt war Mader, der dem bunten Wald von Mikrofonen vor seiner Nase anvertraute, was sich alle schon gedacht hatten: Unglaublich, das Gefühl, „wenn du im Ziel abschwingst und siehst den Einser auf der Tafel leuchten.“ Bald drauf sah er sich einem Ansturm junger und durchweg weiblicher Skifans ausgeliefert, die sich den Namen ihres Helden mit knallrotem Lippenstift auf Stirn und Wange gemalt hatten. Eine preßte den Sieger im Taumel des Glücks an sich, und ihre Stirnbemalung hinterließ bleibenden Eindruck: Auf Günther Maders Gesicht stand „Günther Mader“ – spiegelverkehrt.

Lasse Kjus, der Erste im Weltcup, trägt die Zeichen des Kampfes mit der Piste schon seit Mittwoch im Gesicht, und sie lassen sich auch durch eine riesige Spiegelbrille nicht verbergen. Geschürfte Haut, geschwollene Wangen; wie einer, der Mumps im schlimmeren Stadium zu verkraften hat, sieht der Norweger aus, seitdem es ihn beim Training an der Hausbergkante hinausgetragen hat. Mit flotter Fahrt und hundert Sachen ging es in die Sicherheitsnetze. Eine Gehirnerschütterung diagnostizierte die medizinische Abteilung, „mir brummt noch der Kopf“, sagt Kjus höchstselbst, derweil es anderen im Training ähnlich schlecht erging, zum Teil noch schlimmer: Die Österreicher Schifferer und Strobl gleichfalls mit brummendem Schädel, der Italiener Vitalini mit Fußprellung kurzfristig außer Gefecht, langfristig der Luxemburger Foser (Außenbandriß) und der Schweizer Cavegn (Kreuzbandriß). Die Schußfahrt fordert ihre Opfer, zumal in Kitzbühel, wo sich der Mythos daraus speist, daß jeder, der mutig ins Starthaus tritt, unversehens im Rettungshubschrauber landen kann.

Die Gefahr ist denen bewußt, die an die Rampe treten, und sie belebt ihren Ehrgeiz. „Du willst die Streif beherrschen“, sagt der Österreicher Patrick Ortlieb, den sie in der Szene schätzen, weil er besser als die meisten die Anliegen der Fahrer formulieren kann. Ortlieb ist der Klassensprecher, gerade muß er seine Kollegen im Streit mit der Weltföderation FIS vertreten. Es geht um Geld und darum, wie man den Sport am besten verkauft. Einer wie Ortlieb setzt Rennen für Rennen sein Leben ein und verdient damit die ganze Saison soviel wie ein Tennisspieler, der in einem Grand Slam das Viertelfinale erreicht. Das soll anders werden. Sein Sport, sagt Ortlieb, müsse im Fernsehen spannender verkauft und die Risikobereitschaft der Schußfahrer besser vermittelt werden. „Oft fragen mich die Leute auf der Straße: Wie schnell fahrt ihr eigentlich?“ sagt er, weshalb fortan die Höchstgeschwindigkeit auf dem Bildschirm eingeblendet werden soll.

Toni Sailer, mehrfacher Sieger auf der Streif, unterstützt den Kollegen: „Wenn der Fernsehzuschauer sieht: Da fährt einer 137 km/h, der davor fuhr aber nur 124, kann er sich die Brisanz des Ganzen besser vorstellen.“ Auch soll verkündet werden, wie weit die Hasardeure springen auf ihrer rasenden Fahrt hinab ins Tal.

Da tut sich ein Konflikt auf. Gianfranco Kasper, Generalsekretär der FIS, sagt, er befürchte eine „Weitengeierei“ und „Rekordhascherei“; am Ende werde man „auf Hochgeschwindigkeitsstrecken in der Mongolei“ fahren, weil man da zwei Stundenkilometer schneller sei. Außerdem müsse man die Gesundheit der Athleten schützen. Schutz gebe es genug, findet allerdings Ortlieb, „da sind Millionen investiert worden. Wenn da doch noch was geschieht, ist es nur Pech.“ Und Kjus, eben noch von der Strecke geschleudert, fragt aus verschwollenem Gesicht: „Was kann schon passieren?“ Meister im Verdrängen sind sie alle und halten das Risiko, das sie eingehen, für kalkulierbar.