Anbieten werde ich nichts

Der Dichter als eingebildeter Bauer: Wie die Landhäuser Thomas Bernhard halfen, seine Schreibhemmung durch Schuldendruck zu überwinden  ■ Von Wenzel Müller

Seit Februar 1989 liegt er in Wien unter der Erde des Grinzinger Friedhofs, doch zur ewigen Ruhe ist er noch lange nicht gekommen. Ungebrochen ist das Interesse an Thomas Bernhard, der gern als schwierig oder als „komplexer Charakter“ beschrieben wird. Die Produktivität des österreichischen Autors war beeindruckend – in manchen Jahren veröffentlichte er gleich drei, vier neue Werke –, und in dem fast gleichen Tempo folgen nun laufend Werke über ihn nach. Eine jüngste Veröffentlichung stellt den Dichter als Hausbesitzer vor, Wieland Schmied (Essay) und Erika Schmied (Fotografie): „Thomas Bernhards Häuser“.

Der Dichter nahm gern die Schaufel in die Hand. Wir erfahren, daß alte Häuser seine Passion waren, mit Lust renovierte er sie und richtete sie mit Möbeln ein. 1965 kaufte Bernhard von dem ehemaligen Sauhändler und Realitätenvermittler Karl Ignaz Hennetmaier in Oberösterreich den verfallenen Vierkanthof Obernahtal 2.

Gerade hatte der Autor den Julius-Campe-Preis und den Bremer Literaturpreis erhalten, doch sein Geld reichte bei weitem nicht zum Kauf aus. Also bat er seinen Verleger Siegfried Unseld (Suhrkamp) um einen Vorschuß. Später erinnerte sich Bernhard: „Ich forderte von Unseld ... 40.000 Mark; weil ich es eilig hatte, in zwanzig Minuten. Angeblich hatte Unseld zu diesem Zeitpunkt, wie seine Frau mir später versicherte, vierzig Grad Fieber gehabt. Ich forderte damals, wie ich heute denke, für jeden Fiebergrad des Verlegers oder für jede halbe Minute des Verlegers, tausend Mark.“

Nach und nach setzte Bernhard den Vierkanthof instand, soweit es sein Gesundheitszustand erlaubte, legte er auch selbst mit Hand an. Er baute den Dachboden aus, erneuerte Tür- und Fensterstöcke, setzte Kachelöfen und richtete im ehemaligen Stallgebäude Wohnräume ein. Die Möbel, möglichst einfache und funktionale, suchte sich Bernhard bei Antiquitätenhändlern in der Umgebung zusammen. Die Vorhangstangen und gußeiserne Deckenbeleuchtung ließ Bernhard nach eigenen Zeichnungen beim Schmied im Ort anfertigen. Voller Stolz oder vielleicht eher mit diebischer Freude nannte sich der Dichter nun „Bauer zu Nahtal“ und ließ entsprechende Namensschilder anfertigen. „Vor dem Höllengebirge gelegen“, so seine Ortsangabe, obwohl die, so Schmied, „streng topographisch gesehen, nur bei extensiver Auslegung zutrifft“.

Heute kann der Interessierte nach vorheriger Anmeldung bei der sogenannten Nachlaßverwaltung Thomas Bernhards in Gmunden, das Bernhard-Haus besuchen (in der warmen Jahreszeit). Es ist in dem Zustand erhalten, in dem es Bernhard zurückgelassen hat. Daß nichts verändert werden sollte, war einer von Bernhards nachdrücklichen Wünschen in seinen letzten Lebenstagen.

Leer und kahl wirkt das Gebäude mit den insgesamt 17 Zimmern, das Bernhard gern als „Kerker“ bezeichnete. Und das uns mit seiner strengen und erlesenen Einrichtung wie eine Art Museum vorkommt, das sich der Autor zu Lebzeiten errichtet hat. Die Küche bietet Platz für etwa zwanzig Gäste, wurde aber praktisch nie benutzt. Die vielen Töpfe und Krüge hatten ausschließlich dekorativen Charakter. Schmied erzählt, daß Bernhard Besuchern ganz unumwunden sagen konnte: „Anbieten werde ich Ihnen nichts, sonst bleiben Sie zu lange.“ In Bernhards Vierkanthof ist auch ein Gästezimmer untergebracht, aber ganz selten übernachtete tatsächlich mal jemand bei ihm. Im Grunde hielt es Bernhard in seinem Haus nur mit seinem „Lebensmenschen“ aus, der sehr viel älteren „Tante“ Hedwig Stravianicek.

„Bernhard brauchte Dinge, auch wenn er sie nicht brauchte“ (Schmied). Ordentlich in Reih und Glied aufgestellt finden wir in einem Zimmer die Sammlung von nicht weniger als fünfzig Paar Schuhen. Unzählige Ledergürtel, Tücher und Handschuhe, perfekt geordnet, in den Kommoden. Und im Schrank dreißig bis vierzig Sakkos. Diese Menge mutet gerade so kurios an wie jener Schrank mit den Postkarten, die der Dichter an sich selber geschrieben hat. (Könnte auch wieder ein neues Buch abgeben: Bernhard, der Postkartenschreiber.)

„Aus zwei Hauptgründen, ganz zu schweigen von den Hunderten von Nebengründen, bin ich auf das Land, weil mir erstens der Arzt gesagt hat, daß ich wegen meiner Lungenkrankheit nur auf dem Land überleben könnte und weil ich absolut gewillt gewesen war, meiner Studien und meiner naturwissenschaftlichen Arbeit zuliebe, die Stadt zu opfern. Aber ich habe einen sehr hohen Preis dafür bezahlt. Auf dem Lande zu leben habe ich immer als Bestrafung empfunden, denn bei mir ist alles immer so angelegt gewesen, daß es letzten Endes gegen das Land angelegt gewesen ist.“ Das schreibt Bernhard in der stark autobiographisch gefärbten Prosa „Ja“ (für die naturwissenschaftliche können wir auch die schriftstellerische Arbeit einsetzen).

Der Vierkanthof sollte sich für Bernhard nicht als die ideale Arbeitsstätte erweisen. Der Autor zog sich statt dessen zum Schreiben gern in Hotelzimmer zurück, und zwar vorzugsweise im Mittelmeerraum. Als einen von den „Hunderten von Nebengründen“ für den Rückzug aufs Land führt Schmied den Umstand an, daß der Hof Bernhard für den Fall einer „literarischen Flaute“ – die er immer fürchtete – eine gewisse Sicherheit bot. War hier doch eine Selbstversorgung mit Milch, Most, Getreide, Gemüse und Kartoffeln jederzeit möglich. Den Kuhstall richtete Bernhard nach dem modernen Stand der Technik ein, wenn auch – vorerst – ohne Tiere. Und einen Traktor hatte der Dichter auch immer im Schuppen stehen.

Bernhard ließ es nicht bei dem einen Gehöft bewenden. In den siebziger Jahren kaufte er in der Umgebung noch zwei weitere alte Bauernhöfe. Und eine Stadtwohnung in Gmunden, vorsorglich für jene Zeit, da es ihm gesundheitlich nicht mehr gutgehen sollte. In dieser Wohnung, ganz in der Nähe von seinem Bruder, dem Arzt Peter Fabjan, starb er denn auch 58jährig. Was Bernhard beim Kauf des Vierkanthofs noch um schlaflose Nächte gebracht hatte, entdeckte er schließlich als reizvollen Kitzel: Schulden zu machen und Kredite aufnehmen zu müssen. Für ihn eine wertvolle Stimulanz und eine geeignete Strategie gegen die Schreibhemmung. Wieland Schmied: „Bernhard weiß: Er muß zu einem bestimmten Termin fertig sein, um das Erscheinen oder die Aufführung zu sichern, um neue Honorare oder Vorschüsse fällig werden zu lassen. Und so hält er das Karussell von Grunderwerb und Ausbau der Häuser, von Schuldenmachen und literarischer Produktion in Gang.“

Den sogenannten Ottnanghof kaufte Bernhard auch aus dem weiteren Grund, sich ungestört zurückziehen zu können. Der Vierkanthof war nämlich schnell als Bernhards Domizil bekannt geworden und animierte eine Vielzahl von Fans zu Pilgerfahrten nach Ohlsdorf. Was der Dichter mit der Zeit nicht mehr als schmeichelhaft, sondern nur noch als lästig empfand: „Die Leute gehen am Wochenende, so wie sie früher Affenschauen gegangen sind, jetzt Dichterschauen. Das ist günstiger. Sie fahren nach Ohlsdorf und umstellen mein Haus. Ich schaue dann wie ein Verrückter hinterm Vorhang hervor. Unerträglich.“ Heute dürfen sie kommen.

Wieland und Erika Schmied: „Thomas Bernhards Häuser“. Residenz Verlag 1995, 160 Seiten, geb., zahlreiche Fotos, 98 DM