: Mit der Bahn in die Zukunft?
Wir schreiben das Jahr 1999. In einer rumpelnden Lokalbahn von München nach Holzkirchen sitzt ein Mannheimer Verkehrsplaner und hängt seinen Gedanken nach. Vor kurzem saß er noch im ICE, debattierte bei 250 km/h mit zwei Kollegen und einem Politiker über den weiteren Ausbau des Nahverkehrs. Zuvor hatte ihn ein hochmoderner Niederflurzug von Waldhof zum Mannheimer Hauptbahnhof gebracht. Bequem zurückgelehnt in der vollklimatisierten S-Bahn schwebte er dem Bahnhof entgegen. Einen Espresso hatte er sich kommen lassen, dazu reichten die 15 Minuten Fahrzeit gerade aus. Im Hinausgehen hatte der Mittvierziger noch gemeint: „Hätt' ich net gedacht, daß mer mal so bequem in der S-Bahn sitzen.“
Und jetzt das. Eine stinkende Diesellok kriecht durch den bayerischen Nebel. An Zeitunglesen nicht zu denken, so wackelt und rüttelt es im verqualmten Abteil. 20 Minuten hatte er auf diesen Bummelzug gewartet, stand er in der zugigen Bahnhofshalle. Eine halbe Stunde Fahrzeit liegt noch vor ihm, an Espresso ist nicht zu denken.
Günther P. ist Fahrgast der Deutschen Bahn AG. Das war er auch vor einer Stunde gewesen: im ICE. Doch dort, im Fernverkehr, hat die einstige Staatsbahn ja was zu bieten. Auf dem Land kannst du es vergessen! Zumindest in Bayern. Anders oben im Rhein-Neckar-Raum. Dort hatten sie sich 1996 durchgesetzt, hatten die Chance ergriffen, aus der Regionalisierung des SPNV, des Schienen-Personen-Nahverkehrs, was Vernünftiges zu machen. Gemeinsam hatten der Mannheimer Oberbürgermeister, der Chef des Verkehrsverbundes und er, P., die Möglichkeiten des Wettbewerbs genutzt.
Was für die 126 Millionen Fahrgäste des florierenden Verkehrsverbundes, der längst Kaiserslautern und Heidelberg, Bruchsal und Worms mit eingebunden hat, selbstverständlich ist, nämlich eine 15minütige Verbindung überall im Verbundgebiet, das fehlt hier im tiefen Süden noch immer. Weil sie damals in München aufs falsche Gleis gesetzt hatten.
Heute schauen sie mißmutig hoch zum Neckar und Rhein. Die Firmen, die sich dort am neuen Regionalverkehr beteiligten, haben längst gutes Geld verdient, und der Individualverkehr hat deutlich abgenommen. Aber heute abend, heute abend wird er es dem Otto W. deutlich sagen. Wenn der zu ihm kommt, um sich Anregungen zu holen. Meine Güte, wenn W.s einstige Kabinettskollegen in München wüßten, daß der heute bei ihm ... Wo er doch damals, als er noch Minister war und alles mitverschnarcht hat, wo er doch eine gehörige Mitschuld trägt, daß damals im Freistaat eine positive Nahverkehrsentwicklung vergeigt wurde. Aber so ist das nun mal. Damals war Herr W. ja auch noch nicht als hochdotierter Verkehrsplaner in der Privatwirtschaft tätig – da war er Minister.Klaus Wittmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen