Filmmittel als Angriffsformen

■ Zu einer Veranstaltung rund um die Animationsfilme von Vlado Kristl Von Franz Winzentsen

Die große Familie der Trickfilmmacher mit ihrer Gemeinde wird in diesem Jahr den 40jährigen Geburtstag des berühmten jugoslawischen Trickfilmstudios von Zagreb feiern. Seit seiner Gründung 1956 hat dieses Studio von sich reden gemacht.

Was hat dieser Geburtstag mit der heute abend im Metropolis-Kino um 21.15 Uhr stattfindenden Veranstaltung mit Vlado Kristl und seinen Animationsfilmen zu tun? Zunächst nichts. Die Veranstaltung war im Rahmen eines Seminars über Animationsfilmkünstler und ihr Werk von der Hochschule für bildende Künste zusammen mit dem Metropolis konzipiert, bevor ich von dem Geburtstag erfuhr.

Aber: Vlado Kristl hat viel mit Zagreb zu tun, obwohl er nur wenige Jahre dem Studio angehörte (und nicht mitfeiern will, was aus dem Folgenden vielleicht verständlich wird). Er gehörte zu denen, die schon 1950 das Studio gründen wollten. Er ging einige Jahre später nach Amerika und erlebte die offizielle Gründung nicht. 1959 kehrte er auf Bitten der ehemaligen Kollegen nach Zagreb zurück. Er machte den Film Sagrenska Koza (Chagrin-Leder) und begann mit dem Don Quichotte. Diese Zeit schildert Vlado Kristl als Alptraum. Von der Geheimdienstpolizei bespitzelt, verhört, ins Gefängnis geworfen, hat er wohl nur überlebt, weil er der politischen Macht als „Einzeltäter“ erschien, also nicht einer Verschwörung oder organisierten Opposition angehörte, ein Don Quichotte war, dem man einreden wollte, er kämpfe nur gegen Windmühlenflügel. Doch die Art seines Kampfes, das sind die formalen Mittel seines Films, die Art der Animation, die rabiaten Schnitte, der scharfe Rhythmus, das sind Elemente, die die Zuschauer überzeugen mußten, daß sein Angriff konkreter war.

Als Vlado Kristl mit einem Messer auf einen Geheimdienstpolizisten losging, „um ihn umzubringen“, wie er erzählte, brachte ihm das ein Berufsverbot ein. Hauptsächlich dem technischen Direktor des Studios ist es zu verdanken, daß Vlado heimlich in Nachtarbeit an dem Don Quichotte weiterarbeiten konnte. Bevor der Film beendet war, führte ein Verrat zur Konfiszierung des Materials und Beendigung der Arbeit. Als dann Hilmar Hoffmann und Will Wehling, die damaligen Leiter des Oberhausener Kurzfilmfestivals, nach Zagreb kamen, um diesen Film für das Festival einzuladen, wurde er vom Studio offiziell verleugnet. Doch ein Blick aus dem Fenster genügte, um die Behauptung von der Nichtexistenz des Films Lügen zu strafen. Denn die vielen Schornsteine des flachen Studiobaus waren eigenartig drapiert: Topfdeckel wie Schilde und Latten wie Lanzen waren derart an die Schornsteine montiert, daß die Oberhausener sofort die ihnen von Zeichnungen her bekannte Gestalt des Don Quichotte wiedererkannten. Will Wehling nutzte die Situation und konnte bei den Zagrebern die Endfertigung des Films erwirken/erzwingen, weil das Studio das Festival von Oberhausen als wichtigstes Fenster zum Westen brauchte.

Der Don Quichotte erhielt 1962 in Oberhausen den Großen Preis. 1963 verließ Vlado Kristl sein Land und lebt und arbeitet seitdem in der BRD, zuerst in München, seit 1980 in Hamburg mit einem Lehrauftrag an der HfbK.

In der Literatur über das Studio in Zagreb wird der Weggang von Vlado Kristl übereinstimmend als Verlust bezeichnet. Kein Wunder, war doch der bildkünstlerische Anteil der Zagreber Filme ihr schwächstes Element, und Vlado war der einzige bildende Künstler unter ihnen von Format. Er weiß in seinen Filmen ein bildnerisches Denken anzuwenden, während die meisten Zagreber Filme aus illustrierten Gedanken bestehen. Will Vlado Kristl verbal faßbare Gedanken äußern, so schreibt er sie auf die Leinwand, so geschehen in seinem letzten Film: Die Hälfte des Reichtums für die Hälfte der Schönheit. Nehmen seine verbal faßbaren Gedanken überhand, so macht er Bücher oder Lyrikhefte.

In Vlado Kristls gesamtem Filmwerk nehmen die Animationsfilme den kleineren Teil ein. Und weit mehr Lebenszeit als dem Filmemachen hat er der Malerei gewidmet. Vlado Kristls gezeichnete Filme, die heute abend in seiner Anwesenheit im Metropolis laufen werden, sind also nur ein kleiner Teil aus seinem Gesamtwerk, ein sehr wichtiger aber, wie ich meine.