Schweigen statt Kritik

■ Ingrid Stahmer will trotz Kritik aus SPD weiterhin Senatorin werden. Nachverhandlungen bei Ressortverteilung möglich

Möglicherweise wird es bei der Ressortverteilung im neuen Senat zwischen CDU und SPD noch Veränderungen geben. Der Landesausschuß der SPD befaßte sich gestern mit einem Antrag, wonach mit der CDU nochmals Gespräche über die Aufteilung der Senatorenposten geführt werden sollen. Eingebracht wurde den Antrag ausgerechnet von einem der beiden SPD-Unterhändler, der den Ressortzuschnitt mit Diepgen und Landowsky ausgehandelt hatte, dem Parteivorsitzenden Detlef Dzembritzki.

Überlegungen in der SPD, das Ressort Gesundheit an die CDU zurückzugeben und im Gegenzug doch den Finanzsenator zu stellen, wies die CDU jedoch schon gestern zurück. Nach einer weiteren Variante könnte die SPD das Bau- oder das Justizressort an die CDU abgeben, um das Finanzressort zu erhalten. Die CDU ist gesprächsbereit, will der SPD aber kein zusätzliches Ressort zugestehen.

Auch bei der SPD war aber gestern keine Bereitschaft zu erkennen, daß Großressort Arbeit/Frauen/Soziales und Gesundheit doch wieder zu teilen und damit der bisherigen Sozialsenatorin Ingrid Stahmer einen Verbleib in ihrem Amt zu ermöglichen. „Unser Ziel ist nicht, die Zahl der Ressorts zu vergrößern“, erklärte der SPD- Sprecher Hans-Peter Stadtmüller. Jetzt nachträglich die Zahl der Senatorenposten zu erhöhen würde nicht nur die geplante Senatsverkleinerung konterkarieren. Wie aus dem Umfeld von Ingrid Stahmer zu hören war, sollte die unterlegene Spitzenkandidatin mit der Zusammenlegung der Ressorts Arbeit/Frauen und Soziales/Gesundheit gezielt ins Aus manövriert werden.

„Für mich ist nicht so entscheidend, welches Ressort ich im neuen Senat übernehme“, erklärte gestern Ingrid Stahmer. Sie könne sich ebenso vorstellen, Senatorin für Schule und Jugend zu werden wie das Ressort Wissenschaft und Kultur, falls dieses gegen das Ressort Schule und Jugend getauscht werden sollte. Sie könne sich auch vorstellen, das Finanzressort zu übernehmen. In jedem Fall, so Stahmer, erhebe sie den Anspruch, als Diepgens Stellvertreterin Bürgermeisterin zu werden. In dieser Funktion wolle sie dafür sorgen, daß die SPD wieder ein „schärferes Profil“ erhält.

Stahmers Vorstoß hatte schon in der vergangenen Woche in der Verhandlungsdelegation für Verärgerung gesorgt. Daß Stahmer Bürgermeisterin werden will, erfuhren die Parteigenossen durch eine Pressemeldung, die ihnen der CDU-Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky grinsend überreichte.

Auch Stahmers Wunsch, bei den Verhandlungen über die Ressortaufteilung dabeizusein, wurde in der SPD-Delegation mit Unverständnis aufgenommen. Denn traditionell verhandelt darüber die Parteispitze, nicht aber amtierende SenatorInnen. Auf SPD-Seite saßen Böger und Dzembritzki am Tisch, für die CDU verhandelte das Gespann Diepgen/Landowsky. „Ich bin planmäßig ausgeschaltet worden“, stellte Ingrid Stahmer fest. Sie habe als Spitzenkandidatin dabeisein müssen.

Zwar macht sich in der Partei Entsetzen breit, daß die Senatorin kalt abserviert werden soll, doch selbst Stahmer-AnhängerInnen sind von der glücklos agierenden Kandidatin enttäuscht. Sie habe ihre Anteile an der Wahlniederlage nicht aufgearbeitet und auch in den letzten Wochen zuwenig Führungskraft an den Tag gelegt, so die Kritik. Doch statt offener Kritik herrscht Schweigen. Dorothee Winden