Schule der Intrigen

■ Michael Maier, neuer Chef der "Berliner Zeitung", hat bei seinem Abschied von Wien aus dem Nähkästchen geplaudert

Jetzt wissen sie alle gründlich Bescheid, die Sektionschefs, Generalsekretäre und anderswie Gesalbten, die einflußreichen Kreise von Wien: Der stille und nachdenkliche Michael Maier (37) kann auch anders. „Wo das Messer am besten sitzt“, nannte Maier seine Abschiedskolumne als Chefredakteur der Wiener Tageszeitung Die Presse.

Kurz bevor er an diesem Wochenende seine Arbeit in gleicher Funktion bei der Berliner Zeitung antrat, hat Maier die Wiener Honoratioren unerwartet, aber um so treffsicherer geschockt. „Nirgendwo werden Menschenverachtung, Nutzdenken und Egoismus so offenkundig wie in der süßlichen Demut der Wiener angesichts klingender Titel und Funktionen“, schreibt Maier und plaudert aus der Schule hoher Wiener Politik: „Der Obmann einer nicht ganz unwichtigen Partei“ habe ihn vor der Parlamentswahl im Dezember zum Gespräch gebeten – ganz offensichtlich war das ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel. Ob denn die Presse seiner Partei nicht helfen könne, jetzt wo es ums Ganze gehe. „Na könnt's ihr nicht in den Kommentaren, in den Leitartikeln ein bisserl für uns schreiben?“ habe der Parteichef, deutlicher werdend, gefordert und sei höchst erstaunt gewesen, als Maier solche Ansinnen als „Hof(burg)berichterstattung“ von sich wies. Da habe der Gesprächspartner begonnen, über die staatliche Presseförderung zu sinnieren. Maier über Wien: „Ich weiß nun, daß Charme eine Angriffshaltung sein kann. Ich weiß nun, daß hinter der Gemütlichkeit sich die scheußlichste Brutalität verbergen kann. Ich habe vor allem aber eines gelernt: trau keinem – und am wenigsten denen, die freundlich sind. Ich habe gelernt, daß Freundschaft eine Kategorie aus dem Wetterbericht sein kann.“

Begonnen hat Maiers Karriere etwas ruhiger. „Wie kommt die Schnecke zu ihrem Haus“ war der Titel seines ersten Artikels, verfaßt im zarten Alter von sieben Jahren und abgedruckt auf den Kinderseiten der Kärntner Volkszeitung, die sein Großvater leitete. Nach einem Jurastudium war Maier u.a. Chefredakteur der Kärntner Kirchenzeitung, bevor er Anfang vergangenen Jahres zur Presse berufen wurde. Das sieht der diplomierte Organist und Bach-Kenner heute eher als einen Betriebsunfall des Verlags: Den Herausgebern schien vorher nicht klar gewesen zu sein, daß Maier aus dem bis dahin stockkonservativen und defizitären Organ der Industrie- und Handels- lobby ein moderneres und im Vergleich zu den Marktführern in Österreich durchaus liberales Blatt machen würde. Daß der Neue gleich zu Anfang mit dem jahrelangen Peymann-Boykott der Zeitung brach und ein langes Interview mit dem deutschen Burgtheaterdirektor führte, hat man ihm in einschlägigen Wiener Kreisen bis heute nicht verziehen.

Der Ruf nach Berlin muß Maier da wie ein Rettungsring erschienen sein, auch weil er in Wien nie recht heimisch geworden ist – aber nicht nur deshalb. Der wahre Grund, sagt er, sei die Stadt: „Berlin ist so spannend, das Zusammenwachsen, die sozialen Fragen im Osten. „Gefragt, wie er sein Blatt auf dem hart umkämpften Berliner Zeitungsmarkt stabilisieren will, verweist er auf seine kulturelle Beziehung zu Deutschland: „Ich habe Orgel studiert, und selbstverständlich habe ich mich auch mit Brandenburg, mit Bach, mit Luther auseinandergesetzt. Und zu den Oppositionellen in der DDR habe ich schon vor der Wende gute Beziehungen gehabt. Diese widerständische DDR war für mich so etwas wie geistige Heimat.“

Michael Maier sagt von sich selbst, aus der Liebe zur Musik und Literatur schöpfe er seine Gelassenheit. Mit dem Dompteurgehabe von Kollegen wie Tango- Tiedje verbindet ihn jedenfalls nichts. Zurückhaltend ist er, fast unscheinbar, pragmatisch. „Meine Arbeitsweise ist die, daß ich mich mit den Redakteuren zusammensetze und wir versuchen, aus den ganzen Vorschlägen eine gemeinsame Richtung zu entwickeln.“ Über sein Konzept für die Berliner Zeitung will Maier vorerst nur soviel sagen: „Eine Hauptstadtzeitung nach dem Vorbild der Süddeutschen, eine spannende, schnelle Zeitung, die in Ost und West gleichermaßen Anklang finden kann.“

Den Wienern empfahl Michael Maier in seiner Abrechnung: „Behandelt Eure Künstler besser. Peymann, Jelinek, Turrini sind unbewaffnet. Der Kaiser ist tot, und Jörg Haider nicht sein legitimer Erbe.“ Daß solch ein Artikel ohne sein Wissen ins Blatt gehoben wurde, konnte Maiers schon amtierender rechtskonservativer Nachfolger im Chefsessel der Presse, Andreas Unterberger, natürlich nicht dulden. Nachspiel: Der verantwortliche Redakteur wurde zunächst beurlaubt (bis die Redaktion lautstark protestierte), zwei Maier-treue Journalisten entlassen – aus „Spargründen“, natürlich. Daniel Asche, Wien