Wühltisch
: Zeitsieg der Arbeiterklasse

■ Erlebt mit Henry Maske ein klobig vergoldetes Comeback: Die Rolex

Der Handballtorwärter Thiel gab seinerzeit den Hinweis, daß der Leistungssport der Klassengesellschaft nachgebaut ist. Die Arschlöcher mit den Rolex-Uhren, meinte er während einer Olympiade, verpesten das einträchtige Mannschaftsleben. Seine Mißfallensbekundung zielte nicht auf die Kollegen seines Metiers, sondern auf die besser verdienenden Profifußballer, die erstmals am Weltsportfest der Amateure teilnehmen durften. Der Zeitmesser fungierte in diesem Sinne als Grenzmarkierung zwischen bezahlter und unbezahlter Körperertüchtigung.

Die Rolex taugt nicht nur zur Demonstration von Einkommensverhältnissen, sondern zeugt von existentiellem Kampf. Für die starken Typen von Potsdamer, Zeil und Reeperbahn hat sie zu allererst einen lebenspraktischen Sinn. Wenn die Luft im Milieu dünner wird, vertraut man auf die güldene Reserve am Handgelenk. Wem die Stunde schlägt, dem kann die Rolex Gold wert sein. Auf der Flucht kommt es darauf an, die Zeichen der Zeit so schnell wie möglich zu erkennen. Gefährdeten Freiberuflern dieser Sparte war der teure Uhrschmuck seit jeher die unmittelbarste Form der Lebensversicherung.

Kein Mensch, sollte man denken, trägt heute noch Rolex. Wen das Zuhälter-Image nicht abhalten konnte, der störte sich zuletzt vor allem an den Billig-Imitaten aus Taiwan und anderswo. Die Symbole des Luxus waren in der jüngst vergangenen Lebensstilära nur als Parodie zu genießen. War die kostbare Präzisionsuhr gerade wegen ihrer Haltbarkeit ein Zeichen für die Vergänglichkeit des Lebens, so degradierte die Swatchphase sie zu einem Zeichen der Unfähigkeit, sich auf Geschmackswandel einzustellen. Gegen den Quartz-Schnickschnack und die regressiven Fun- Fabrikate galt die Rolex als protziges Stück Schwermetall. Den Rest regelte der Goldpreis.

Wenn nicht alles täuscht, steht zum Ausklang des Jahrhunderts eine Renaissance der Rolex bevor. Wenn Henry Maske seine Fäuste erhebt, drängelt sich allerhand Pack mit Klunker am Boxring, um als prominent zu gelten. Man liebt's wieder tough mit herbem Proll-touch.

Die Arbeiterklasse hat, so Michael Rutschky, kulturell gesiegt, und der Proletarier hat nichts zu verlieren außer seinen Goldkettchen. Er begibt sich auf Expeditionen aller Art, und dazu braucht es nun einmal solides Zeitmeßwerkzeug. „In vielen Gegenden unserer Erde“, teilt die Rolex- Werbeabteilung mit, „sei es in einer weiten, glühenden Wüste oder der Einöde des Polargebietes, könnte in diesem Moment ein Forscher seine Position bestimmen.“ Das bewerkstelligt er am besten mit der Rolex-Oyster, denn nur ihr, das weiß er mit den Leuten aus der Potsdamer, „vertraut man sein Leben an.“

Das ist übrigens ganz buchstäblich zu verstehen, denn die Vorliebe für Goldenes an Ohr, Hals und Handgelenk ist psychologisch tief verankert. Das Gold, erläutert Wolfgang Harsch anschaulich in seiner psychoanalytischen Geldtheorie1, ist ein Kotsubstitut, das den kindlichen Kot symbolisiert, den das Kleinkind der Mutter schenkt, um mit ihr wegen des Milchraubs quitt zu werden. Der geruchsarme Kinderkot, das wissen alle, die Umgang mit jungen Eltern pflegen und deren Freude über das Häufchen kennen, ist das erste Geschenk.

So war denn wohl auch die Bezeichnung des Torwärters Thiel zu verstehen, als er die anale Ausdrucksweise für seine Kollegen aus der benachbarten Berufssparte fand. Harry Nutt

1 Wolfgang Harsch: „Die psychoanalytische Geldtheorie“, Fischer TB, Geist und Psyche, Frankfurt 1995, 265 Seiten, 19,90 DM