Haute Couture für Polly Peachum

Ausstattungsorgie, in der die Dekoration alles und das Spiel nichts ist: Die „Dreigroschenoper“ an der Wiener Burg – mit Kostümen von Vivienne Westwood! Selten wurden Brechts Bettler so dezent und stilbewußt in Szene gesetzt  ■ Von Uwe Matheiß

Lang ist's her, daß sich das vormals kaiserlich-königliche Hofburgtheater im Glanz eines Monarchen sonnen durfte. Bevor das Haus ganz und gar in plebejischer Tristesse versinkt, hat die Direktion des Burgtheaters wieder den roten Teppich für eine Monarchin ausgerollt.

Vivienne Westwood, einstmals Königin des Punk und heute die Protagonistin einer neuen Prächtigkeit in der Mode, arbeitet erstmals für ein Theater – und prompt wurde es die Burg. Mit theatralischen Wirkungen spielt ihre Mode schon seit den Anfängen, erst recht aber seit sie sich vom Sicherheitsnadel-Look der siebziger Jahre entfernt hat – und sich für ihre Entwürfe dem Fundus der Stilgeschichte bedient. Jede ihrer Arbeiten kann als fortgesetzte Inszenierung des Einpersonenstücks „Frau“ gelesen werden.

Mit traditioneller Kostümbildnerei haben ihre Modelle für die Burg wenig zu tun. Sie stellt die Produktionshierarchien am Theater auf den Kopf. Die Westwood bedient kein Bühnenstück, illustriert kein Regiekonzept. Ihre Entwürfe selbst sind das Theater. Bertolt Brecht interpretiert ihr die historischen Vorbilder, die sie in ihren Arbeiten parodiert und paraphrasiert.

Die modischen Qualitäten der Entwürfe, die die großenteils verbeamteten Staatstheatermodels vor dem Orchestergraben umhertragen, stehen außer Zweifel. Manches Stück ist gar zu schön, um nur theaterdienlich zu sein.

Selten zuvor haben Brechts Bettler das ganze Elend dieser Welt so dezent und stilbewußt ins Bild gesetzt. Selbst Erich Wonders maschinenstarre Kulisse aus der Frühzeit der Industrieproduktion verschönt noch den Karneval des Jammers, den Jonathan Jeremiah Peachum (Martin Reinke) im gescheckten Fassbinder-Pelz prachtvoll vorantreibt.

Vivienne Westwood führt selbst- und geschichtsbewußt durch die vornehmsten Ahnengalerien des Britischen Imperiums. Die aristokratische Selbstdarstellung ist Teil des Jobs und geht bis zur Fiktion einer schottischen Familientradition mit eigenem Clansnamen und Stoffmustern. Der ganze Pomp ist unterfüttert mit solidem Handwerk.

Wie kaum ein zweiter Modeschöpfer weiß sie um die feinen Details edler britischer Tucherzeugung. Sie zieht dreihundert Jahre Bekleidungskonvention durch den Schleudergang ihres Ateliers und bringt es immer wieder fertig, mit ihren Entwürfen Tradition und Provokation unter einen Hut bringen. Ihre Wiederverwertung von Geschichte erreichen zielsicher die Höhe der Form ihrer Vorbilder. Wer wie sie die Königin von England verulkt, muß deutlich mehr Stil haben als diese. Das konnte Ihre Majestät nur noch mit der Verleihung eines Ordens beantworten. Vivienne Westwood blieb nichts schuldig und nahm die Auszeichnung sichtbar ohne Unterwäsche entgegen.

Brechts „Dreigroschenoper“ taugt gut dazu, Westwoods Idee vom Erscheinungsbild der Geschlechter zu illustrieren. Gegen den vorherrschenden Trend ins Androgyne stellt sie einen lustvollen Anachronismus. Ihre Bilder von Männern und Frauen betreiben spielerisch die Polarisierung der Geschlechterdifferenz.

Dabei verfährt sie nicht ohne Ironie und genüßliche Grobheiten. Alle Marterwerkzeuge, die den Frauenleib zu verschiedenen Epochen seinem Ebenbild in der männlichen Phantasie anglichen, gewinnt Vivienne Westwood in ihrer Entwurfsarbeit als Waffen der der Frau zurück.

Nicht nur die Huren von Soho stehen als selbstbewußte wilde Weiber geschnürt und bestrapst auf geradezu akrobatisch hohen Stöckelschuhen und Plateausohlen. Dem Ausdruck von naturhafter Stärke hilft auch noch die Schneiderei nach. Brustumfänge prähistorischer Idoldarstellungen und die Betonung des Hinterteils durch Polster, „cul de Paris“ genannt oder auch auf gut wienerisch „Stockerlarsch“, runden die Silhouette ab. So gewandet trippeln Brechts Frauenfiguren als Abbilder matriarchalischer Muttergottheiten über den Bühnenlaufsteg.

Susanne Trempers alte Frau Peachum ist auffallend gut angezogen. Die große Komikerin Maria Happel unterstützt das schrille Outfit in ihrer sehr unsentimentalen Auffassung der Polly Peachum. Die ist zu keiner Sekunde das arme verlassene Weib. Der frauenverschleißende Mackie Messer (Fritz Schediwy) ist in dieser Eigenschaft weniger Realität als die erotische Phantasie ihrer einsamen Nächte. Regisseur Paulus Manker geht hier Brechts Machogebärden nicht auf den Leim.

Der Rest des Ensembles tut sich mit dem Model-Job einigermaßen schwer. Nur Johann Adam Oest präsentiert als Polizeichef Tiger Brown die hellbraun karierte Schottentracht samt aufreizender Fasanenfeder ziemlich gelassen mit dem Ausdruck feiner Ironie.

Überall Westwood, wohin man auf der Bühne schaut – aber selten gehen die Entwürfe wirklich in der Szene auf. Die Uhr, auf der Mackie Messers Lebenszeit abläuft, ist eine Reminiszenz an einen ihrer Läden in London. Zu den Krönungsfeiern am Ende trägt das Bildnis Elisabeths der Ersten kokett eine Sicherheitsnadel in der Wange – eine der wenigen Anspielungen auf alte Siebziger-Zeiten.

Mit der neugebauten Bühnentechnik des Burgtheaters setzt Erich Wonder Maschinenzauber in Gang. Die komplexen Hub- und Drehbewegungen der Spielflächen sind kaum mehr nachzuverfolgen. Schornsteine, Dampf, Feuer und überlebensgroße Statuen sezierter Leiber steigern die Bildwirkung der Bühne ins Momumentale. Erich Wonder und Vivienne Westwood veranstalten an der Burg einen Makart-Umzug mit anderen Mitteln, eine Ausstattungsorgie, in der die Dekoration alles und das Spiel nichts ist.

Gegen diese beiden egomanen Bilderfinder schwindet die Regie bis hin zur schieren Nichtexistenz. Bei den Aufgaben, die ihm noch bleiben, geht Paulus Manker Wege, die keine Widerstände erwarten lassen. Er glättet die Brüche und Kanten der „Dreigroschenoper“ durch inszenatorische Gemeinplätze und frisiert Brechts Stück zur Operette um, die ausnehmend miserabel musiziert wird.

Susanne Tremper und Maria Happel bleiben mit guten Gesangspartien die Ausnahme. Fritz Schediwy, ein gurgelnder und tobender Mackie Messer im Hamsterkäfig, wirkt dagegen über weite Strecken erschreckend uninszeniert.

„Die Dreigroschenoper“, frei nach Brecht. Kostüme: Vivienne Westwood. Regie: Paulus Manker