Selber denken zahlt sich aus

Polens staatliche Universitäten unterliegen privater Konkurrenz: Der Nachwuchs wandert ab, Studenten honorieren das neue Angebot  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

„Manche Absolventen verdienen vom ersten Arbeitstag an mehr als ich“, verrät Krzysztof Pawlowski, Rektor einer privaten Wirtschaftshochschule im südpolnischen Nowy Sacz. Unverhohlener Stolz schwingt mit in seiner Stimme. Die Provinzhochschule hat es innerhalb von nur drei Jahren geschafft, sich an die Spitze des alljährlichen Universitäts-Rankings zu setzen. Nur die renommierte Warsaw School of Economics, wie sich die frühere „Hochschule für Planung und Statistik“ heute nennt, ist noch angesehener.

Die privaten Hochschulen, die seit 1990 wie Pilze aus dem Boden schießen, wurden 1995 zum ersten Mal mit berücksichtigt. Die Überraschung hätte kaum größer sein können. Altehrwürdige Universitäten und Akademien rutschten auf hintere Plätze ab. Schon heute sind drei von zehn führenden Wirtschaftsfakultäten oder Hochschulen in privaten Händen. Dasselbe gilt für die Kunstakademien. Überraschend ist nicht nur die rasante Aufholjagd der Privaten. Noch erstaunlicher ist, daß sie meist gar keinen Diplom- oder Magistertitel verleihen dürfen. Die Studenten werden nach drei Jahren mit einem „Lizentiat“ entlassen. Die meisten stürzen sich dann direkt ins Berufsleben. Viele haben schon während des Studiums über Praktika ihren Arbeitgeber kennengelernt.

Die staatlichen Universitäten können nur mit Neid auf die Konkurrenz blicken. Ihnen nämlich geht allmählich die Puste aus. Niemand hatte 1990 damit gerechnet, daß der Aufruf des Bildungsministers „Alle zum Studium!“ eine Lawine lostreten würde. Innerhalb von fünf Jahren verdoppelte sich die Zahl der Erstsemester von 90.000 auf heute 200.000. Zugleich ist der prozentuale Anteil am Budget von 3,2 auf 2,3 Prozent gesunken; Stipendien erhalten nicht mehr 67 Prozent aller Studierenden, sondern nur noch 39.

Professoren verdienen trotz der im Herbst 95 erkämpften Gehaltserhöhung von 30 Prozent noch immer weniger als Facharbeiter oder Bergleute. Die Folge, so Professor Kajetan Wrblewski, Rektor der Warschauer Universität von 1989 bis 1993, sei fatal: „Die Elite geht. In den letzten Jahren haben wir gut ein Drittel unseres wissenschaftlichen Potentials verloren.“ Die älteren Professoren nähmen einen zweiten oder gar dritten Job an, um ihr Gehalt aufzubessern. „Doch die, die das tun, entwickeln sich nicht weiter. Das geht ein paar Jahre gut, und dann ist es vorbei.“ Die Nachwuchswissenschaftler aber gingen entweder ins Ausland oder an die privaten Hochschulen.

Künftige Manager büffeln an privaten Hochschulen

Jede private Hochschule, die vom Bildungsministerium anerkannt werden möchte, muß bestimmte Grundbedingungen erfüllen. Dazu zählt unter anderem die Festanstellung von mindestens acht Professoren oder Privatdozenten und vier Doktoren. Anerkannt wurden bislang 69 private Hochschulen. Das bedeutet einen Mindestverlust von knapp 830 Nachwuchswissenschaftlern für die staatlichen Universitäten. In Wirklichkeit liegt die Zahl bereits bei über 1.800. Die meisten sind Wirtschaftswissenschaftler. Denn über zwei Drittel aller Privathochschulen bieten Wirtschafts-, Verwaltungs- und Versicherungsstudiengänge an. Je mehr gute Wissenschaftler die Seite wechseln, um so mehr gute Studenten folgen ihnen – ein Teufelskreis für die staatlichen Hochschulen. Schon heute büffelt jeder zweite künftige Manager Polens auf einer Privathochschule.

Dabei sind die Studiengebühren nicht von Pappe, pro Monat fallen im Schnitt 150 bis 200 Dollar an, das durchschnittliche Monatseinkommen eines Polen. Die staatlichen Universitäten haben den supermodern ausgestatteten Privathochschulen mit Computern, Sprachlabors, Videolesesälen, eigenen Verlagen und Filmstudios kaum etwas entgegenzusetzen. Noch dazu sind ihre Lehrmethoden mehr auf passives Auswendiglernen denn auf eigenständiges Denken ausgerichtet.

Lediglich die Warschauer Universität hat eine erste inhaltliche Anwort auf die Herausforderung der Privaten gefunden: Sie bietet seit zwei Jahren ein klitzekleines „Elitestudium“ an, in dem die Studenten ihren Studienplan selbständig und interdisziplinär zusammenstellen dürfen. Bisher nehmen nicht mehr als knapp 150 Studenten daran teil. An den Privathochschulen aber studieren bereits knapp 50.000 junge Leute, die genau das wollen: selbst entscheiden über den Lehrstoff.