Kaposvár wartet auf den Dollarregen

Die südungarische Kleinstadt erhofft sich von der amerikanischen Nachschubbasis für Bosnien einen Wirtschaftsaufschwung. Doch noch fehlt den US-Boys die Zeit zum Geldausgeben  ■ Aus Kaposvár Keno Verseck

Plötzlich brach eine Art Goldrausch aus“, erzählt ein Unternehmer aus der Stadt. „Die Leute waren nicht mehr ansprechbar.“ Ein Fernfahrer fragt sich: „Was haben die eigentlich geglaubt? Daß die Amerikaner mit nichts anderem beschäftigt sein würden, als Dollars umherzuschmeißen, zu trinken und den Huren nachzulaufen?“

Die ersten amerikanischen Soldaten waren noch nicht angekommen, da herrschte in der sonst ruhigen Kleinstadt ungeheurer Aufruhr. Aus allen Teilen des Landes eilten Firmenvertreter herbei. Hotels und Privatzimmer waren binnen kurzer Zeit auf Monate ausgebucht, Voranmeldungen wurden abgesagt, anwesende Gäste hinauskomplimentiert. Im Arbeitsamt drängten sich Hunderte von Stellenlosen, andere, in der Hoffnung auf eine doppelt so gute Bezahlung, kündigten. Säckeweise kamen Briefe von Arbeitswilligen, und die Zahl der verkauften Englisch-Lehrbücher stieg stark an. Auf den Türen von Krämerläden kleben Schilder mit den weltbekannten Namen von Kreditkartenunternehmen. In der Auslage stehen in den Farben der amerikanischen Fahne Whisky-Flaschen, und im Laden läuft ständig Techno-Musik oder Rap.

Kaposvár ist eine unauffällige Kleinstadt im Südwesten Ungarns. 72.000 Einwohner, 175 Kilometer entfernt von Budapest, 50 Kilometer von der kroatischen Grenze. Es gibt hier eines der besten ungarischen Theater, keine besonderen Sehenswürdigkeiten und die üblichen Finanzprobleme einer Stadt. Beim Arbeitsamt sind 3.200 Arbeitslose gemeldet, zehn Prozent, ungarischer Durchschnitt. Die traditionsreiche Lampenfabrik Tungsram hat vor drei Jahren dichtgemacht. Größter Arbeitgeber ist das Krankenhaus. Alles in allem: kein Elend, aber auch keine Aussicht auf bessere Zeiten.

Jedenfalls bisher nicht. Aber nun ist Kaposvár seit einem Monat für die amerikanischen Nato-Friedenstruppen Etappe auf dem Weg nach Bosnien. Sie haben eine Nachschub-Basis errichtet und nutzen den Militärflugplatz im zwölf Kilometer entfernten Dorf Taszar. 3.320 amerikanische Soldaten werden den Truppen in Bosnien von hier aus logistische Unterstützung leisten, vorerst für ein Jahr. Zum ersten Mal in Ungarn, in ganz Osteuropa: eine Nato-Basis.

Die ungarische Regierung erhofft sich davon einen schnelleren Beitritt in die Nato. Der Bürgermeister von Kaposvár, Karoly Szita, freut sich, daß „unsere Stadt einen Beitrag zum Frieden in Bosnien leisten kann“. Er sagt das in Interviews immer zuerst, und es klingt wie eingeübt. Seinen Stolz versteckt er in Randbemerkungen: „Vor drei Wochen wußte die Welt noch nicht, daß es eine Kleinstadt namens Kaposvár gibt.“ Und natürlich hofft Szita auf Arbeitsplätze, auf das Geld „der Amerikaner“, und darauf, daß sie nicht nur ein Jahr bleiben.

Goldene Zeiten sind nicht angebrochen, seit die US-Soldaten ihre Mannschaftszelte aufgeschlagen haben. Zwar arbeiten mittlerweile 764 Ungarn für die US-Armee – Bauarbeiter, Tischler, Elektriker, Übersetzerinnen, Putzfrauen. Und „die Amerikaner“ haben in Kaposvár 1,6 Millionen Dollar ausgegeben, wie der Bürgermeister sagt. Ursprünglich sei allerdings von 2.000 Arbeitsplätzen die Rede gewesen, erinnert sich der Leiter des Arbeitsamtes, Janos Szellö. Und davon, daß ungarische Firmen die Basis mit Lebensmitteln und Ausrüstungen beliefern sollten. Statt dessen hat die US-Armee das meiste einfliegen lassen: Kaffeeautomaten, Mobiltelefone und vakuumverpackte MREs – Meals Ready to Eat. Nur Mineralwasser und Brötchen kommen von ungarischen Firmen.

Auch die Kaposvárer haben von „den Amerikanern“ bisher nicht viel mehr gesehen und gehört als schweres Militärgerät, Lärm, Straßenschäden und zwei Dutzend Verkehrsunfälle. Auf dem Bahnhof und in der Umgegend warten Güterzüge mit Panzern und Containern auf die Weiterfahrt nach Bosnien. Tag und Nacht kreisen Hubschrauber über dem Luftwaffenstützpunkt, starten Kampfflugzeuge, landen Hercules-Transportmaschinen aus Deutschland, legen Kolonnen von Transportern und Jeeps den Verkehr lahm. In der Fußgängerzone aber tauchen nur selten amerikanische Soldaten auf, noch weniger in den Geschäften oder abends in Kneipen.

Sie haben anderes zu tun. „We're going were we have to go“, sagt Captain Dark vom Pressezentrum der Militärbasis. „Wir haben unsere Mission zu erfüllen, und danach können wir uns downtown amüsieren.“ Die vorläufige Mission: Transport von Soldaten und Ausrüstungen nach Bosnien. Bis der nicht abgeschlossen ist, haben die Soldaten keinen Ausgang, es sei denn zu offiziellen Anlässen wie Botengängen. Im Dorf Taszar hingegen, an welches die Militärbasis grenzt, herrscht jetzt uneingeschränkt das US-Militär. Die Einheimischen sind nur noch Zuschauer bei einer Operation von gigantischen Ausmaßen. Als erstes haben „die Amerikaner“ aus allen Straßen Einbahnstraßen gemacht. In der Enge verkehren nun Konvois aus Panzertransportern, Jeeps und Lastwagen in Richtung Bosnien. Hundert Tonnen auf einer Straße, die für zehn Tonnen ausgelegt ist. Die Schäden im Asphalt sind beträchtlich. „Immerhin“, meint ein amerikanischer Diplomat, der in Leipzig gearbeitet hat und jetzt hier seinen Dienst tut, „die Dorfstraßen sind besser als ostdeutsche Autobahnen.“

„Wir sind hier nur noch Statisten“, sagt verbittert ein ungarischer Fliegersoldat, der bis vor kurzem auf dem Militärflugplatz arbeitete. Erst einmal hat er mit einem US-Soldaten gesprochen – über den Sold. „Der hat nur gelacht über unsere Bezahlung. Der bekommt dieselbe Summe, nur in Dollar.“ Andere ungarische Soldaten sind nicht ganz so verbittert. Sie blicken erstaunt auf die selbstbewußten Soldatinnen von der US- Army, die mit Revolvern und Gewehren bewaffnet sind.

Die Fahrkartenpreise in Taszar sind gestiegen, weil der Bus, der in die Stadt fährt, wegen der Einbahnstraßen einen großen Umweg machen muß. Die Jugendlichen im Dorf beschweren sich, daß ihnen ihr einziger Treffpunkt weggenommen wurde: das Kulturhaus mit Kino und Disko. Dort ist nun das Public Affairs Office untergebracht, das Pressezentrum der Militärbasis – auf rot-schmutzigem Linoleum und zwischen zwanzig Jahre alten Fotografien von sozialistischen Fliegerhelden.

Auf dem Gelände der Militärbasis läßt der Komfort kaum zu wünschen übrig. Anders als im Dorf gibt es Telefonzellen, ein Fernsehzelt, einen eigens für die US-Soldaten eingerichteten Fernsehsender, reihenweise Duschcontainer. In „Tent City“, der Zeltstadt, sind die Soldaten untergebracht, die hier zwei Tage Zwischenstation machen und dann nach Bosnien fahren. In einem der Zelte putzt ein Soldat sein Gewehr. Sein Nachbar liest ein Buch mit dem Titel „Acts of Love“. Vor Bosnien haben sie keine Angst. Und wenn sie angegriffen werden, ist es eben: „Part of the risk.“ Nur über das MRE-Essen beschweren sie sich. Sie nennen es „Meals Rejected by Ethiopians“ – den Stadtverordneten aus Kaposvár soll es geschmeckt haben.

Für die Soldaten, die auf der hiesigen Militärbasis bleiben, läßt der Österreicher Franz Maier kochen. Er ist einer der wenigen Unternehmer, die bereits Lieferverträge mit der US-Armee haben. Es war eine Kette von Zufällen, wie er erzählt. Vor ein paar Jahren hatte er einem ungarischen Bekannten Geld geborgt. Er bekam es nicht zurück. Statt dessen bot ihm der Mann Aktien an – beim Kaposvárer Hotel- und Restaurantbetrieb „Korona“. Den fehlenden Anteil zur Mehrheit kaufte Franz Maier und zog nach Kaposvár, um das Unternehmen aus den roten Zahlen zu bringen, lange bevor von US-Soldaten in der Stadt überhaupt die Rede war.

Als sie kamen, half ihm wieder ein Zufall. Er war der einzige, der an einem Sonntag nachmittag imstande war, für den nächsten Tag mehrere hundert Essen bereitzustellen. Die Amerikaner waren so begeistert von Franz Maiers Organisationstalent, daß sie die Köche dabehielten. „Aber es hat nicht nur der Zufall geholfen“, meint Franz Maier. „Ich habe als einziger hier nicht die Preise erhöht. Das hat sich ausgezahlt. Viele sind jetzt enttäuscht, weil sie noch nicht zum Zug gekommen sind.“

Kaposvár wartet auf „die Amerikaner“. Die Popcornhändlerin, der Nachtklub-Besitzer. 170 Unternehmer haben eine Promotion- Show vorbereitet, in der sie „den Amerikanern“ ihre Produkte präsentieren wollen, um Verträge zu bekommen. Der Bürgermeister möchte, daß „negative Auswirkungen minimalisiert“ werden, wenn in einigen Wochen abends plötzlich Hunderte von US-Soldaten in die Stadt kommen. Die ungarische Polizei wird dann mit der US-amerikanischen MP, der Militärpolizei, patrouillieren. „Drogen, Prostitution, damit müssen wir rechnen. Ich hoffe, Kaposvár bleibt trotzdem eine ruhige Kleinstadt“, sagt der Bürgermeister.

Einstweilen registrieren die Leute in Kaposvár alles, was mit „den Amerikanern“ zu tun hat. Zum Beispiel den ersten Diebstahl eines amerikanischen Wagens vor zwei Wochen, den ersten Autodiebstahl überhaupt, soweit die meisten sich erinnern können. Oder daß die Polizisten jetzt täglich in den Hotels nach liegengebliebenen Taschen fragen. Geschichten über „die Amerikaner“ machen die Runde, vorgetragen mit ungläubigem Staunen: „Die sind so offen, die Amerikaner“, sagt eine Zeitungsverkäuferin. „Einmal hab' ich zwei Soldaten gesehen, die haben sogar Zigeunerkindern die Hand gegeben.“