„Terroristischer Akt der Regierung“

■ In Bonn kritisierten russische Soldatenmütter den Einsatz

„Diese Tragödie überrascht uns nicht, es ist nicht die erste und wird nicht die letzte sein in diesem Krieg.“ Niedergeschlagen reagierten gestern Ida Kuklina und Valentina Melnikova vom Komitee der Soldatenmütter Rußlands in Bonn auf den Gewaltakt in Südrußland. SPD-Frauen hatten sie eingeladen, um das Bündnis von über 100 russischen Frauenorganisationen für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen.

Nun erhielt der Pressetermin besonderes Gewicht. Die Tragödie in Tschetschenien und jetzt in Perwomaiskaja beweise, wie sich unter Rußlands Regierenden „Stalins Verhältnis zu den Menschenrechten ungebrochen fortsetzt“. Jelzin werfe den Geiselnehmern vor, daß sie Terroristen wären, aber das sei unredlich. Die Armee habe sich „nie an Gesetze in diesem Krieg gehalten“. Und den habe sie „ohne gesetzliche Grundlage“ vom Zaun gebrochen. Deshalb könne sie Rebellen nicht vorwerfen, keine Regeln einzuhalten. „Dies ist ein terroristischer Akt der Regierung“, klagte Valentina Melnikova. Daß Jelzin sage, alle Möglichkeiten zur friedlichen Einigung wären erschöpft, „können wir nicht glauben“. Schon 1990 habe er das Volk belogen, als er „unter Eid versprach“, daß kein junger Wehrpflichtiger mehr in Konflikten in der ehemaligen Sowjetunion „umkommen soll“. Die Geiselnahme sei für ihn „nur ein willkommener Vorwand“ für die Fortsetzung seines Krieges.

Schon vor drei Wochen habe Jelzin eine neue „Massenverschickung“ russischer Truppen nach Tschetschenien begonnen, ohne daß zum Ausgleich Soldaten abgezogen wurden. Neben den zahlreichen Opfern seien dort 700 junge Soldaten „verschwunden“. Etwa 30 Wehrpflichtige oder deren Angehörige würden täglich das Komitee der Soldatenmütter um Hilfe bitten, um sich vor dem Kriegseinsatz zu retten. Aber die Arbeit der Menschenrechtsgruppe werde konsequent totgeschwiegen. Der Druck aus westeuropäischen Staaten wie der Bundesrepublik sei „zu gering, um Wirkung zu zeigen“.

Gerade deshalb schlagen die SPD-Europaparlamentarier und die Sozialdemokratischen Frauen vor, „dieser einzigartigen Basisinitiative“ 1996 den Friedensnobelpreis zuzuerkennen. Rußland soll ein „Land der Verneinung des Krieges“ werden, so ihre Forderung. Damit sind sie „ein Modell für alle Frauen in der Welt“, betonte die Berliner Schauspielerin Käthe Reichel und übergab auf der Pressekonferenz „dreizehneinhalb Pfund“ Unterschriften, die „nach dem Nobelpreis für die Friedensmütter schreien – jetzt erst recht!“ Holger Kulick, Bonn