„Gegenschlag“ war abgekartetes Spiel

■ Jelzin hatte sich von Anfang an für ein gewaltsames Vorgehen entschieden. Und die Medien bereiteten es vor

Montag morgen schickte Präsident Jelzin den Chef des Föderalen Sicherheitsdienstes, Michail Barsukow, in die Schlacht gegen die tschetschenischen Geiselnehmer von Kisljar. Sechs Tage hat der Kreml laviert und gezögert, bis er sich zu einer Maßnahme durchringen konnte, die auf allen Seiten zig Tote hinterlassen wird. Mit Barsukow übernimmt ein Mann die Operation, der im Sicherheitsdienst für seine „ungewöhnliche Härte bekannt ist“. Im Juli 95 machte ihn Jelzin zum Chef des Sicherheitsdienstes, nachdem sein Vorgänger Stepaschin über die Geiselaffäre in Budjonnowsk gestürzt war. Zuvor befehligte Barsukow die interne Kremlwache. Durch seine Ernennung wollte sich der Präsident die Loyalität des Sicherheitsdienstes erkaufen. Barsukow stand mit Jelzins Leibwächter und Intimus Alexander Korschakow in allen schweren Stunden zum Präsidenten. Egal, wie dieses Geiseldrama ausgeht, wird aber auch er sich zu verantworten haben. Unmittelbar nach der Geiselnahme mußte er sich schon letzte Woche vernichtende Kritik des Präsidenten anhören. Mit anderen Worten: Barsukow war übermotiviert, die Angelegenheit in seinem Sinne zu Ende zu führen.

Das erklärt auch, warum die Verhandlungen mit den tschetschenischen Geiselnehmern ergebnislos geblieben sind. Der Sicherheitsdienst mußte die Scharte auswetzen, das Drama von Kisljar überhaupt zugelassen zu haben. Ein Zugeständnis an die Rebellen würde der Behörde als Schwäche ausgelegt, die sich ohnehin schon in aller Öffentlichkeit lächerlich gemacht hat. Das gleiche gilt für den Präsidenten, der sich als unfähig erwies, den Konflikt im Kaukaus mit zivilen Methoden beizulegen. Daher stand die Erstürmung des Ortes Perwomaiskaja von vornherein fest. Die Versicherungen, das Leben der Geiseln zu schützen, waren für die kritische Öffentlichkeit und den Westen bestimmt. Die russische Seite hat lediglich Ultimaten gestellt, von denen klar war, daß sie für die Rebellen nicht annehmbar sein können. Ernsthaft hat der Kreml gar nicht versucht, mit den Rebellen ins Gespräch zu kommen. Deshalb wurde das Innenministerium der Republik Dagestan, wo das Drama stattfindet, beauftragt, die Sache in eigene Regie zu nehmen. Zuerst ließen sich die Dagestanis auch einspannen. Als sie die Strategie des Kreml durchschauten, lehnten sie weitere Verantwortung ab. Das war die Stunde Barsukows, der nun zeigen will, wozu seine Spezialeinheiten in der Lage sind. Wieder mal hat der Kreml nicht bemerkt, wie er in Dagestan mit dem Feuer spielt. Waren die Dagestanis anfänglich empört über die Gewalt ihres kaukasischen Nachbarn, bringt sie nun Tatenlosigkeit und bloße Zerstörungswut des Militärs gegen den Kreml auf.

Jelzin hat sich eindeutig für einen gewaltsamen Weg im Kaukasus entschieden. Dafür spricht auch die Ernennung Nikolai Jegorows zum Chef der Administration des Präsidenten. Jegorow mußte im Zusammenhang mit der Geiselnahme in Budjonnowsk im vergangenen Juli als Nationalitätenminister den Hut nehmen. Von Anfang an gehörte er zu den Heißmachern, die eine kriegerische Lösung in Tschetschenien propagierten.

In Perwomaiskaja setzt der Kreml zum Endschlag an. Mit der Geiselaffäre will er sich die gesamte Tschetschenienfrage vom Halse schaffen. Die Propaganda des staatlichen Fernsehens bereitet das Unternehmen gezielt vor. Zur Rechtfertigung des Gemetzels wurde mehrfach von der Erschießung der Geiseln berichtet, die keine Quelle bestätigen konnte. Desgleichen wurde der Oberkommandierende der Dudajew-Truppen, Aslan Maschadow, beschuldigt, Funksprüche an die Terroristen gesandt zu haben, in denen er zur Ermordung der Geiseln aufforderte. Maschadow hatte sich aber schon letzte Woche öffentlich von der Geiselnahme distanziert. Er verurteilte sie, was indirekt seinen Bruch mit Dudajew zeigte. Dem Kreml paßt das nicht mehr ins Konzept, weil er flächendeckende Gewalt für den einzigen Weg hält. Klaus-Helge Donath, Moskau