Tenever steht auf

■ Ein ganzer Stadtteil demonstriert gegen seine Demontage

Mit Messer und Säge ging es gestern auf dem Marktplatz einem Stadtteil ans Leben: hier wurde Tenever symbolisch massakriert. Unter den Protestrufen von etwa 80 Umstehenden schlugen zwei Jugendliche wie wild auf das Papphaus Tenever ein, und zerstörten gezielt die sozialen und kulturellen Projekte, die bisher das Leben am Stadtrand erträglich, ja angenehm gemacht haben. Zurück blieb ein Chaos, die Kinder gaben „Tenever“ den Rest. Alles nur ein Schauspiel?

Den Befehl zur Zerstörung erhielten die Kids von Bürgermeister Scherf, Finanzsenator Nölle und Sozialsenatorin Wischer. Die waren trotz Einladung zwar nicht leibhaftig erschienen, wurden aber schauspielerisch durch MitarbeiterInnen des AK Tenever vertreten. Dieser Arbeitskreis ist ein Zusammenschluß von 30 sozialen und kulturellen Projekten in Tenever. Alle sind von der zehnprozentigen Haushaltskürzung betroffen. Daneben aber gibt es einige Projekte, denen zusätzlich existentiell notwendige Mittel gestrichen werden:

Das Kulturbüro Tenever, das seit 1988 in einem Kooperationsverbund mit BewohnerInnen und Institutionen ein umfangreiches Kulturprogramm in Tenever entwickelt hat, muß seine Arbeit zum 1. April einstellen. Die einzige feste Stelle, die der Kulturpädagogin, wird nicht weiterfinanziert. Ausstellungen, Flohmarkt- und Sommerfeste, der Weihnachtsmarkt, Kunstaktionen, Theaterspektakel, Kinderfeste sind vom Aus bedroht. AK-Sprecher Joachim Barloschky: „Die Höhepunkte des geselligen Lebens in Tenever gehen flöten.“

Desolat sieht es auch im Haus der Familie aus. Mit mehr als 30 Angeboten in der Woche ist dieses Haus das Begegnungszentrum des Stadtteils. „Für ältere MigrantInnen ist es der einzige Ort der Begegnung“, erklärt eine türkische Demonstrantin auf dem Marktplatz. Das Haus bietet vom Deutschkurs über die Familienberatung bis hin zu einer multikulturellen Kochgruppe eine breite Palette. Daneben beherbergt es Eltern-Kind-Gruppen und sozialpädagogische Spielkreise, die offiziell als Kindergartenplätze zählen. Hier werden mehr als 80 Kinder betreut.

Ein großer Teil der Arbeit wird von ehrenamtlichen MitarbeiterInnen und Honorarkräften geleistet. Zum 1.2. werden im Haus der Familie zwei Planstellen frei. Die sollen laut Anweisung der Behörden intern besetzt werden, also aus dem Bestand der anderen sieben Häuser der Familie, die über Bremen verteilt sind. Für Tenever bliebe eine Stelle mit 19,25 Stunden für die Koordinierung der gesamten Kinderbetreuung. Damit droht dem Haus die Schließung. Folge: zu den 140 Kindergartenplätzen, die ohnehin in Tenever fehlen, käme ein weiterer Fehlbedarf von 80 Plätzen.

Eine Stelle soll auch das Arbeitslosenzentrum verlieren, beschlossen Politik und Kirche, die 25 Prozent ihrer Zuschüsse aus dem Projekt abgezogen hat. Zum Mai läuft der Vertrag des Tischlers aus. Dann wird die Tischlerei, in der Langzeitarbeitslose eine Beschäftigung fanden, schlichtweg verwaisen.

Dasselbe gilt für das alkoholfreie Jugendcafé und das Jugendfreizeitheim, die Treffunkte für die Tenever Kids: die Arbeitsverträge von je einem türkischen Sozialarbeiter laufen aus. Für die Jugendlichen – mehr als 50 Prozent von ihnen sind MigrantInnen –, hat das zur Folge, daß die Leute, zu denen sie über die Jahre Vertrauen aufgebaut haben, zukünftig nicht mehr als Ansprechpartner zur Verfügung stehen.

„Eine Stadt lebt nicht vom Outfit, sondern von ihrer sozialen Qualität“, mahnten demonstrierende Eltern, PädagogInnen, Kinder und Jugendliche gestern vor dem Rathaus. Sie wollen die angedrohten oder bereits beschlossenen Kürzungen nicht hinnehmen: „Mit uns nicht“, versichert eine Teneverin kämpferisch und weist auf die am Papphaus wütenden Kids. „Das ist doch wie in Wirklichkeit: Die Folgen der Kürzungen bekommen wir zu spüren, wenn unsere Kinder immer aggressiver werden.“

dah