Volkes Seele köchelt

■ 150 Leute drängten sich am Montag beim Viertel-Beirat

Das Viertel erinnert manchmal an alte Wohngemeinschaften. Die BewohnerInnen kennen sich seit Jahren, gemeinsam haben sie manche Schlacht mit- und gegeneinander geschlagen und sich letzendlich doch arrangiert. Zu einem vorläufig letzten großen Kampf auf freier Straße blasen seit zwei Wochen die Menschen aus den Quartieren und Geschäften um den Ostertorsteinweg und Vor dem Steintor.

Am Montag abend waren daher rund 150 BewohnerInnen und Geschäftsleute aus dem Ostertor zur Sitzung des Beirats Mitte gekommen. Ortsamtsleiter Robert Bücking hätte sich seine Bitte um „bloß keine Saalschlacht“ sparen können. Denn obwohl es im Saal samt Nebengelassen, Flur und auf der Empore voller als je auf der Viertelmeile war, blieben die ZuhörerInnen diszipliniert. Immerhin ging es um eine heilige Kuh: Das Auto. Genauer: um die Verkehrsberuhigung im Viertel. „Sofortige Rücknahme der Verkehrsberuhigung“, forderte denn auch gleich als erster ein Geschäftsmann für sich und seine KollegInnen aus dem Stadtteil. 1.200 Menschen hätten ihm sein Begehr unterschrieben – alles genervte KundInnen, die nun nicht mehr mit dem Auto Brötchen einkaufen können.

„Genau“, ruft eine Geschäftsfrau, „uns Kleinen geht zum Monatsende die Luft aus“. Das könne ja nun gar nicht angehen, meint ein anderer. Denn es sei doch sehr verwunderlich, daß ausgerechnet die Kaufleute jetzt am meisten von vermeintlichen Umsatzeinbußen betroffen sind, die schon vorher immer gemeckert haben. Und wie wollen sie ihm erklären, daß am Dienstag die Verordnung in Kraft trat und bereits am Freitag gedruckte Schilder dagegen im Schaufenster standen?

Klatschen und Buh-Rufe halten sich die Waage nach jedem Beitrag. Die CDU-Fraktion ließ sich aus dem Publikum von einem nicht wiedergewählten ehemaligen Beiratsmitglied unterstützen. Der forderte, daß der CDU-Antrag angenommen wird: Rücknahme der Beruhigung. Aber auch Bündnis 90/Die Grünen hatten mobilisiert. Selbst Ralf Fücks als nicht Viertelbewohner wollte wissen, wie die Stimmung an der Basis ist. Und die SPD hatte eigens Buttons pressen lassen: „Ja zur Verkehrsberuhigung“.

Ihr Bürgerschaftsabgeordenter Carsten Sieling war dann auch der einzige, der einen neuen Argumentationsbrocken zwischen die Autofreunde und Feinde warf. „Unter der Umweltverschmutzung leiden alle – Geschäftsleute und Bewohner“. Daher sei er entschieden gegen Autos im Viertel. Der Beirat ließ sich ebenfalls nicht beirren. Der CDU Antrag wurde abgelehnt. Nur ihr Vorschlag nach Verkehrsüberwachung nahmen die KollegInnen gern an. ufo