Haifisch frißt Haifisch frißt Haifisch

■ Italiens Schmiergeldermittlungen im Störfeuer der Presse

Rom (taz) – Über 2.000 Korruptionsverfahren haben die italienischen Staatsanwaltschaften seit 1992 bis zur Anklageerhebung vorangetrieben, 400 von ihnen werden gerade abgewickelt, vier Dutzend sind bereits abgeschlossen. Nur in knapp drei Prozent der Fälle wurden die Angeklagten freigesprochen. Ein Beleg für die akkurate „Reinigung“ der politischen und unternehmerischen Landschaft, um die Italien beneidet wird. Doch gerade jetzt, wo der spektakulärste Bestechungsprozeß gegen Ex-Ministerpräsident und Spitzenunternehmer Silvio Berlusconi beginnt, droht der Ermittlungsapparat in die Brüche zu gehen. Kein einziger Staatsanwalt, auch kaum einer der in die Ermittlungen eingeschalteten Polizisten und Finanzbeamten ist derzeit nicht selbst in ein Ermittlungsverfahren verwickelt: meist wegen Amtsmißbrauch, Geheimnisverrat oder gar wegen Korruption. Aus den Jägern sind Gejagte geworden. „Es wird so enden: Staatsanwälte wie Antonio Di Pietro kommen hinter Gitter“, prophezeit ein Abgeordneter, „und bis ins Mark korrupte Bonzen wie Bettino Craxi kehren im Triumph aus ihrem Exil zurück.“

Tatsächlich sind der 1994 von seinem Chefanklägeramt zurückgetretene Staatsanwalt Di Pietro und viele seiner Mitstreiter von Kollegen benachbarter Distrikte mit häufig lächerlichen Vorwürfen in Prozesse hineingezogen worden. Dagegen sind die Strafforderungen gegen den früheren Chef der Sozialistischen Partei längst verstummt. Craxi, der fast eine halbe Milliarde Mark Schmiergelder eingesackt haben soll, lebt in seiner tunesischen Luxusvilla und bereitet sich auf eine Rückkehr vor.

In den Enthüllungsgeschichten der italienischen Zeitungen werden nicht die Politiker gejagt, die das Volk und die Wirtschaft jahrzehntelang derart ausgepreßt haben, daß eine Rückgabe der Beute drei Jahre lang Einkommenssteuerfreiheit für ganz Oberitalien bedeuten könnte. Enthüllungen betreffen heute fast nur noch die ehemaligen Antikorruptionsermittler. So kursieren Mitschnitte von privaten Telefongesprächen Di Pietros oder illegal beschaffte und dem Ermittlungsgeheimnis unterliegende Aussageprotokolle vor dem Untersuchungsrichter – sie wurden so zusammengeschnitten und aus dem Zusammenhang gerissen, daß der an sich konservative Ermittler wie ein Putschist dasteht.

So sehen die wenigen aus der Sonderkommission „Mani pulite“ (Saubere Hände) verbliebenen Strafverfolger nur noch wenig Chancen, ihre Arbeit fortzusetzen. Zwar macht sich Oberstaatsanwalt Francesco Saverio Borelli noch immer Mut und erklärt: „Mani pulite ist noch lange nicht zu Ende.“ Doch die letzten ehemaligen Kollegen Di Pietros, Gherardo Colombo und Piercamillo Davigo, gestehen privat mittlerweile ein, daß es „schon ein großes Glück“ wäre, könnte man „wenigstens den Berlusconi- Prozeß noch bis zu Ende bringen, ehe sie uns das Heft aus der Hand schlagen“. Werner Raith