Kanther demonstriert Harmonie mit dem UNO-Flüchtlingshilfswerk

■ Als erste sollen ledige Baufachleute nach Bosnien zurückkehren, um das Land rasch wiederaufzubauen

Genf (taz) – „Kanther und UNO-Flüchtlingshochkommissarin Sadako Ogata sind sich über Modalitäten zur Rückkehr der Bosnienflüchtlinge völlig einig.“ Immer wieder war gestern in Genf aus der Begleitung des deutschen Innenministers und von deutschen UNO-Diplomaten diese Botschaft zu vernehmen. Auch Vertreter des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) zeigten sich gestern gegenüber der taz „positiv überrascht“ über das Auftreten Kanthers.

Vergessen schien die Entscheidung des Bundesinnenministers und seiner 16 Länderkollegen, das Bleiberecht für die rund 320.000 bosnischen Kriegsflüchtlinge in Deutschland zum 1. April aufzuheben und ab spätestens 1. Juli mit der Rückführung zu beginnen. In seiner Rede vor den Vertretern von 40 Staaten und 20 internationalen Organisation, die auf Einladung des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) über ein Rückkehrprogramm für die mindestens 2,5 Millionen bosnischen Flüchtlinge und Vertriebenen diskutierten, vermied Kanther die Erwähnung von Fristen. Er betonte allerdings, das „Gastrecht“ der Flüchtlinge bestehe nur auf „begrenzte Zeit“.

Dem Vorschlag einiger CDU- Politiker für eine „Kopfprämie“ zur Beschleunigung der Rückkehr erteilte der Bundesinnenminister eine Absage — mit dem Argument, daß eine derartige Prämie bei künftigen Konflikten Flüchtlinge aus anderen Staaten nach Deutschland locken könnte. Zustimmung bei Kanther fand der Vorschlag eines „Schnupperbesuchs“, bei dem Flüchtlinge in Bosnien vor Ort erkunden können, ob die Bedingungen für eine endgültige Rückkehr in ihr Heimatland bereits vorliegen. Bislang ist es Flüchtlingen in Deutschland verwehrt, ins Ausland zu reisen und zurückzukehren.

Der Diplomat eines europäischen Landes bezeichnete die gestern in Genf demonstrierte Harmonie als „diplomatischen Seiltanz zur Verdeckung weiterhin bestehender Differenzen“. Die dürften spätestens dann wieder aufbrechen, wenn sich die gestern von Ogata ausschließlich „zu Planungszwecken“ geäußerte „Annahme oder zumindest Hoffnung“ als unrealistisch erweist, daß bis Ende 1996 bereits 900.000 BosnierInnen (rund 500.000 Vertriebene innerhalb Bosniens und rund 400.000 Flüchtlinge aus den anderen exjugoslawischen Republiken bzw. aus dem europäischen Ausland) an ihre künftigen Heimatorte zurückkehren werden.

Ogata warnte erneut davor, auf welche Art auch immer Druck auf Flüchtlinge auszuüben. Auch sollten sie nicht in ihre Heimat zurückkehren müssen, bevor die im Dayton-Abkommen genannten Bedingungen für eine Rückkehr tatsächlich realisiert seien. „Eine überstürzte Rückkehr ohne vorherigen Wideraufbau gefährdet den Friedensprozeß.“ Die Kosten für das Rückkehrprogramm für das Jahr 1996 bezifferte das UNHCR auf 370 Millionen US- Dollar. Fünf Millionen Dollar werden kurzfristig benötigt, um während der Wintermonate provisorische Behausungen und Unterkünfte zu errichten bzw. zerstörte wieder instand zu setzen.

Nach den Vorstellungen Kanthers sollten deshalb aus Deutschland etwa ledige und für den Aufbau des geschundenen Landes hilfreiche Flüchtlinge (beispielsweise Ingenieure und Baufachleute) als erste in ihr Heimatland zurückkehren. Diese Ansicht wurde auch von vielen Konferenzteilnehmern geteilt. Andreas Zumach