Frauen im Knast bei der Geburt angekettet

In Großbritannien zieht jetzt eine Gefangene vor Gericht. Gefängnisbehörden geraten unter Druck  ■ Von Ralf Sotscheck

Schwangere Gefangene sollen in Großbritannien künftig nicht mehr angekettet werden, während sie ihr Kind zur Welt bringen. Das kündigte die britische Gefängnisbehörde am Montag abend an, nachdem der Brief einer Gefangenen einen Sturm der Entrüstung ausgelöst hatte. Die neunzehnjährige Annette, die eine Haftstrafe wegen Diebstahls absitzt, hatte an Beverley Lawrence- Beech vom Verband für die Verbesserung der Entbindungsdienste geschrieben.

„Am Samstag setzten die Wehen ein“, schrieb Annette, „und man rief einen Krankenwagen. Ich wurde an einen Gefängniswärter mit großen, schwarzen Handschellen gefesselt, wie man sie bei besonders gefährlichen Gefangenen benutzt. Sie taten sehr weh.“ Im Kreißsaal wurde sie von zwei Gefängnisbeamten ans Bett gekettet – einem Mann und einer Frau. „Sie setzten sich dann neben mich. Ich bat sie zu gehen, weil ich Schmerzen hatte und es mir peinlich war, aber sie sagten, ich solle mir keine Sorgen machen, weil sie selbst Kinder hätten.“ Die Wehen hörten dann auf, und Annette wurde zurück ins Gefängnis gebracht.

Zuvor durfte ihre neunjährige Tochter Louise sie im Krankenhaus besuchen: „Ich werde ihren Blick nie vergessen. Sie ist höflich und war nicht frech zu den Beamten. Ich erklärte ihr, die machten nur ihren Job. Ich weiß nicht, warum man mir das alles antut, ich habe nie in meinem Leben jemandem weh getan.“

Annettes Kind ist inzwischen geboren – eine zweite Tochter. Der britische Fernsehsender Channel 4 zeigte ein Foto der gefesselten Mutter, als sie knapp eine Stunde nach der Geburt mit ihrem Mann telefonierte. Er sitzt ebenfalls eine Haftstrafe ab und durfte das Kind bisher noch nicht sehen. „Wer aufstehen und telefonieren kann, kann auch flüchten“, rechtfertigte eine Sprecherin der Gefängnisbehörde die Maßnahmen. Annette hat Klage gegen Innenminister Michael Howard eingereicht und will, falls nötig, bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen.

Die Gefängnisbehörde und der Hebammenverband haben nun eine noch nicht veröffentlichte Übereinkunft getroffen, die eine „humanere Interpretation“ des Begriffes „Geburtswehen“ enthalten soll. Mit anderen Worten: Die Fesseln könnten dann schon bei ersten Anzeichen von Wehen abgenommen werden. Howards Staatssekretärin Ann Widdecombe, die für die Gefängnisse zuständig ist, hatte die Fesselung bisher vehement verteidigt. In den letzten Jahren seien zwanzig Gefangene aus Krankenhäusern geflohen, sagte sie. „Die Gefängnisbehörde hat dafür zu sorgen, daß diese Leute in Gewahrsam bleiben.“ Eingeführt wurde das Anketten von Gefangenen im April vorigen Jahres, als acht Gefangene beim Krankenhausbesuch geflohen waren.

Widdecombe, eine glühende Verfechterin der Todesstrafe, hatte behauptet, das für Holloway zuständige Krankenhaus Whittington in London habe keine Einwände gegen die Fesselung der Patientinnen. Vorgestern mußte sie sich im Parlament für diese Fehlinformation entschuldigen. Sie sei selbst von der Gefängnisbehörde falsch informiert worden. In Wirklichkeit hat der Geschäftsführer des Whittington-Krankenhauses vor fünf Monaten in einem Brief die „große Betroffenheit des Krankenhauspersonals“ über die Ankettung von Patientinnen ausgedrückt.

Aber nicht nur schwangere, sondern auch schwerkranke Gefangene werden bei Krankenhausbesuchen in Ketten gelegt: eine Krebskranke, die zur Chemotherapie ins Krankenhaus gebracht wurde, eine Frau mit Lungenentzündung und eine andere mit Ruhr. Ralf Sotscheck