Design für Atomei vor dem Aus

Garchinger Projektleiter schlägt Reduzierung der Urananreicherung auf 70 Prozent vor und stürzt Bonner Zukunftsministerium in helle Aufregung  ■ Von G. Rosenkranz

Berlin (taz) – Die Technische Universität München rückt offenbar von ihrem Konzept für den in Garching geplanten Forschungsreaktor (FRM II) ab. Gegenüber dem Bonner Umweltministerium erklärte Projektleiter Anton Axmann bereits am 14. Dezember vergangenen Jahres, ein Verzicht auf den auch in Atomwaffen eingesetzten Brennstoff mit einer 93prozentigen Anreicherung des spaltbaren Uranisotops U-235 sei möglich. Die Forschungsarbeiten könnten „ohne (wesentliche?) Qualitätseinbuße“ durchgeführt werden, wenn die Urananreicherung nur etwa 70 Prozent betrage und gleichzeitig die thermische Leistung des umstrittenen Forschungsmeilers „um weniger als 10 Prozent“ ansteige. Für eine solche moderate Designänderung, ergänzte Axmann, müsse nicht einmal das atomrechtliche Genehmigungsverfahren mit Beteiligung der Öffentlichkeit wiederholt werden.

Die überraschende Kehrtwende der „Projektgruppe Neuer Forschungsreaktor“ ergibt sich aus einem internen Vermerk des Bonner Forschungsministeriums, der gestern der Süddeutschen Zeitung in Auszügen zugespielt wurde. Die Indiskretion steht vermutlich im Zusammenhang mit Gesprächen der Garchinger Projektplaner mit Vertretern des US-Energieministeriums und Wissenschaftlern des Argonne National Laboratorys (ANL). Das mehrfach verschobene Treffen findet morgen in Garching statt.

Die Regierung in Washington kritisiert seit Jahren den in Garching geplanten Einsatz von waffentauglichem Uran. Damit, so die Befürchtung der US-Administration, würden seit 1978 andauernde internationale Bemühungen unterminiert, waffentaugliches Uran schrittweise aus zivilen Nuklearkreisläufen zu verbannen. Die ANL hatte sogar detaillierte Vorschläge für ein alternatives Reaktorkonzept vorgelegt. Die Projektplaner der TU München hatten die Einmischung rüde zurückgewiesen.

Im Hause Rüttgers sorgte der Schwenk der Münchner Hardliner für helle Aufregung, die sich in einer Serie handschriftlicher Bemerkungen auf dem besagten Vermerk niederschlug. „Hier zeichnet sich erstmals ein Abgehen Bayerns von seiner harten Linie ab“, notierte der zuständige Referatsleiter. Abteilungsleiter Friedrichs fügte genervt an: „Ich finde es schon bemerkenswert, wie allmählich unser ganzes bisheriges ,Argumentationsgebäude‘ relativiert wird.“ In der Tat: Seit Jahren hatte die Bundesregierung im harmonischen Gleichklang mit der Technischen Universität München den Reaktor und sein Design gegen alle Kritiker im In- und Ausland verteidigt. Designveränderungen seien nicht nötig, weil eine Abzweigung von Waffenuran wegen der scharfen Spaltstoffüberwachung durch die Wiener Atombehörde und Euratom hierzulande ausgeschlossen werden könne.

Am 21. Dezember landete der brisante Vermerk auf dem Schreibtisch des parlamentarischen Staatssekretärs Bernd Neumann (CDU). „Der Vorgang um den FRM II“, notierte Neumann, „wird immer verwirrender. Hier muß auf der Grundlage einer sorgsam erarbeiteten Vorlage (mit Handlungsalternativen) in einer Leitungsrunde möglichst bald über unsere Strategie entschieden werden.“ Dem Vorschlag stimmte Anfang des Jahres auch Zukunftsminister Jürgen Rüttgers (CDU) zu.

Damit scheint nur noch eine Frage der Zeit, wann das bisherige Bombendesign des Garchinger Reaktors auch offiziell stirbt. Die Gegner des Projekts im In- und Ausland wird das kaum zufriedenstellen. Sie halten die Garchinger Kehrtwende für ein Ablenkungsmanöver. Der Übergang von 93 Prozent Anreicherung auf 70 Prozent sei „kein entscheidender Gewinn“, so ein deutscher Experte zur taz. Tatsächlich eignet sich auch Uran mit 70prozentiger Anreicherung zum Bombenbau. Statt 16 Kilogramm wären für einen einfachen Sprengsatz dann jedoch rund 27 Kilogramm Bombenstoff nötig. Der FRM II würde – nach altem Design – rund 40 Kilogramm Bombenstoff pro Jahr verbrennen.