: Ein sächsischer Römer
Gestern wurde der Dichter und Theaterleiter Heiner Müller auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin beerdigt. Ein angemessen ratloser Abschied ■ Aus Berlin Petra Kohse
Eine fast sakrale Stimmung herrschte bei der Trauerfeier für Heiner Müller. Gleichwohl war dieser Abschluß einer Reihe von Gedenkveranstaltungen für den am 30. Dezember im Alter von 66 Jahren gestorbenen Dichter und Theaterleiter natürlich ein Medienereignis. Dutzende von Fotografen und Kameraleuten warteten gestern vormittag vor dem Berliner Ensemble auf die Trauergemeinde.
Altbundespräsident Richard von Weizsäcker war gekommen, Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen, Regisseure wie Claus Peymann oder Hans Neuenfels, Autoren wie Susan Sontag und Christoph Hein, Schauspieler wie Marianne Hoppe und Bernhard Minetti. Vom SFB- Fernsehen und dem ORB-Hörfunk wurde die Feier live übertragen.
Vor einer verwaschen rotbemalten Tafel auf der sonst nackten Bühne spürte der Filmregisseur Alexander Kluge als erster Trauerredner dem Charakter Heiner Müllers nach. Er sprach im Präsens über ihn und beschrieb ihn als „sächsischen Römer und preußischen Menschen“, als „das Gegenteil eines Opportunisten“. Kluge erwähnte auch die zunehmende Konzentration von Müllers Texten, eine Entwicklung, an deren Ende das dramatische Gedicht stand – die größte Abstraktion vom Theater, die doch gleichzeitig das meiste Material für die Bühne bereithalte. Müllers Werk, sagte Kluge, werde im 21. Jahrhundert helfen, das 20. Jahrhundert zu verstehen. Am Ende seiner Rede erhob sich das ganze Theater auf Kluges Anregung zu einer Schweigeminute.
Später las der amerikanische Theaterregisseur Robert Wilson einen Text von Gertrude Stein, und der Schriftsteller Stephan Hermlin erinnerte an die Rezeption von Müllers Werk in der DDR: „Der Staat, dem Müller nicht diente, der ihn aber auch aus diesem Grunde als eine ungewöhnliche Kraft zur Durchsetzung seiner ursprünglichen Ziele hätte behandeln müssen, hatte sich entschieden, ihn als Gegner zu sehen und ging auch daran zugrunde.“
Nicht ohne Ironie ging Hermlin auch auf den beginnenden „Whisky and Cigars“-Kult ein und bemerkte zu den lang andauernden Gedenkveranstaltungen: „Vielleicht spürten die Menschen so etwas wie Reue, als hätten sie etwas versäumt.“ Zum Abschluß der Feier spielte der Dirigent und künstlerische Leiter der Staatsoper Unter den Linden, Daniel Barenboim, aus Franz Schuberts letzter Klaviersonate.
Grablämpchen und Wiesensträuße
Die Beerdigung selbst fand auf Wunsch von Heiner Müllers Witwe, der Fotografin Brigitte Meyer, im engeren Kreis auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof statt, wo auch Bertolt Brecht und Helene Weigel begraben sind. Die offiziell geladenen Trauergäste und etwa hundert weitere versammelten sich währenddessen vor dem Friedhofseingang. Vorsorglich hatte die Polizei die vorbeiführende Chausseestraße abgesperrt. Einige brachten Grablämpchen mit, viele trugen Blumen bei sich: rote Nelken oder Rosen, weiße Lilien oder sogar Wiesensträuße.
Kaum ein Wort wurde laut, als sich die Menge später auf den vereisten Friedhofswegen um das Grab drängte. Es gab keine Rede mehr, keine Musik. Manche kletterten zunächst auf umliegende Grabsteine, um ihre Sicht zu verbessern, reihten sich dann aber doch wieder ein. Einer trug ein Plakat mit der Aufschrift „Revolution denken macht Hoffnung“ bei sich, ließ es aber unschlüssig zu Boden hängen.
Zuvor hatte Alexander Kluge bei der Trauerfeier im Berliner Ensemble auch Heiner Müllers Wort zitiert, nach dem alle geglückten Beerdigungen mißlingen müßten. Auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof standen Hunderte von Menschen herum, die eine Nähe oder Gewißheit zu suchen schienen, und doch nur auf andere, schweigende Menschen trafen. Ein irgendwie ratloser Abschied, ein angemessener Abschied.
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