Wer ist die Kamera?

■ Der Thriller Die üblichen Verdächtigen macht den Zuschauer zum zweifelnden Komplizen

Die üblichen Verdächtigen sind fünf Kriminelle verschiedenen Kalibers, die nichtsahnend zu einer Gegenüberstellung zusammengerufen werden. Noch auf dem Präsidium beschließen sie, von nun an gemeinsame Großprojekte in Angriff zu nehmen.

Die Kluft zwischen einem verkrüppelten Kleinganoven wie Roger „Verbal“ Kint (Kevin Spacey) und dem abgebrühten Superhirn Dean Keaton (Gabrielle Byrne) könnte kaum größer sein, doch bald bemerken alle fünf, was sie dennoch verbindet: sie alle haben unbewußt irgendwann einmal dem berüchtigten Keyser Soze, mehr schreckenverbreitender Mythos als ein mächtiger Gangsterboß aus Fleisch und Blut, Schaden zugefügt, und sie befinden sich längst in seiner unsichtbaren Gewalt. In seinem Auftrag sollen sie ein wahres Himmelfahrtskommando durchführen, wodurch ihr Leben nunmehr von der Frage abhängt, ob Keyser Soze nur eine aufgebaute Legende, nur eine Illusion und also keine echte Gefahr ist, oder tatsächlich real.

Was zuerst wie ein moderner und flotter Gangster-Film ausgesehen hatte, läuft so nur noch auf eines hinaus – wer oder was ist Keyser Soze? Regelmäßige Rückblenden stellen diese Frage, und von dieser Erzählstruktur lebt die Spannung: „Verbal“ Kint sitzt als offensichtlich letzter Überlebender der üblichen Verdächtigen im Büro der Staatsgewalt und rekapituliert vor uns und dem ermittelnden Zollinspektor Kujan (Chazz Palminteri) die zurückliegenden Ereignisse.

Das Vertrackte an solchen Thrillern ist, daß man irgendjemandem vertrauen muß. Das ist zwar im Kino immer so, aber es gibt Filme, die einem die eigenen Zwänge überdeutlich und mit Genuß vor Augen führen. Denn die Erzählung selbst, die zwischen den Rückblenden immer wieder Raum läßt, den beängstigenden Ruf des Phantoms Keyser Soze zu untermauern, ist unser Problem.

Nach der finalen Auflösung haben wir als Publikum einzugestehen, daß wir uns mit Beginn des Films auf eine zunächst unüberprüfbare Bilder-Wahrheit eingelassen haben, einlassen mußten.

Schon in der ersten Szene des Films waren wir ohne weitere Einführung Zeuge des Mordes an Dean Keaton geworden, und erst am Schluß sehen wir uns gezwungen, das alles in Zweifel zu ziehen. Wer hatte uns überhaupt diesen Anfang, der die ganze Zeit so wirksam gewesen war, erzählt? Die Kamera – wer ist das?

Bryan Singer (Public Access), Regisseur und Produzent zugleich, demonstriert Erzähl-Kino, und wirft uns auf unsere Abhängigkeit als sein Publikum zurück, das dem größenwahnsinnigen Glauben aufsitzt, noch so etwas wie distanziert-ordnende Logik im Sinne einer Aufklärung zu besitzen. Auf der Suche nach Keyser Sozes wahrem Gesicht bemerken wir deshalb viel zu spät, daß die Logik der Bilder, mit der wir operieren müssen, zu keiner Zeit tatsächlich von uns beherrscht wird. Das „Wer-ist-es?“ gerät zusehends zur Frage nach Identität und Glaubwürdigkeit der Kamera. Als Spielball der Erzählung entdecken wir eine alte Kraft des Kinos neu, die uns als eigentlich Außenstehende immer schon zum Teil eines Films werden ließ.

Jan Distelmeyer

City, Grindel, Oase