Fragwürdig - betr.: "Gegen Sprachlosigkeit - Rosa Gebärden statt hilfloser Gesten", taz vom 15.1.1996

Betr.: „Gegen Sprachlosigkeit – Rosa Gebärden statt hilfloser Gesten“, 15. 1. 96

Der Autor schreibt, daß Szenetreffs, Kinos und Literaturlesungen für Gehörlose wenig interessant seien. Zum einen ist es schade, daß der Autor noch keinen von den Gehörlosen getroffen hat, die ausgesprochen gerne in Szenetreffs gehen, sonst hätten wir uns ja mal darüber unterhalten können, daß Discos sehr wohl auch für Gehörlose interessant sind, der Kaffee oder das Bier – hörend oder gehörlos – immer gleich schmecken und untertitelte Kinofilme gerne besucht werden. Weiterhin ist zu sagen, daß Gehörlose genauso viel oder wenig interessiert sind wie andere Leute auch, sofern Lesungen, Vorträge usw. in Gebärdensprache gedolmetscht oder gehalten werden. Leider fehlt vielen OrganisatorInnen schwulesbischer Veranstaltungen meistens das Bewußtsein, GebärdensprachdolmetscherInnen einzusetzen, damit wären nämlich Gehörlose und auch Schwerhörige miteinbezogen und auf diesen Veranstaltungen präsent, so wie z. B. beim Red, Hot & Dance '95.

Schade auch, daß der Autor nicht herausstellt, daß die meisten OrganisatorInnen von Veranstaltungen nicht dafür sorgen, daß das allgemeine Recht auf Information wahrgenommen werden kann, indem sie entweder nicht daran denken oder sich schlicht weigern, DolmetscherInnen einzusetzen, wie es z. B. auf der CSD-Woche '95 zu erleben war, da die VeranstalterInnen sich nicht zuständig fühlten, da es sich ja nun um eine lesbischwule Veranstaltung handele und nicht um Behindertenpolitik ...

„Der Einsatz von Gebärden macht ihre ,Behinderung' sichtbar.“ Was bedeutet denn hier Behinderung? Wie wir ja bereits oben beschrieben haben, bedeutet z. B. der Nichteinsatz von DolmetscherInnen für Gehörlose eine Behinderung. Deshalb scheint uns der Zusammenhang, der im Artikel hergestellt wurde, reichlich fragwürdig. Zumal hier auch noch anzumerken ist, daß Hörende oft sehr interessiert sind, wenn sie Leute sehen, die sich in Gebärdensprache unterhalten, und ihnen nicht als erstes in den Kopf kommt: „Huch, einE BehinderteR“ (...)

Weiterhin wird im Artikel erklärt, daß schwule Gehörlose die Isolierung zweimal erfahren – wir denken, daß es besser ist, diese zwei Bereiche nicht miteinander zu vermischen. Es handelt sich jeweils um ganz verschiedene Erfahrungen und Prozesse, die von den einzelnen ganz unterschiedlich erlebt werden. Insofern ist die Beschreibung „zweifache Isolierung“ nicht richtig, zumal die vielen schwulesbischen Gehörlosenvereine zeigen, daß Gehörlose nicht im Schränkchen hocken... Die Ziele dieser Vereine sind im wesentlichen nicht viel anders als die anderer schwulesbischer Vereine (politische Arbeit, Aids und andere Beratung, Parties etc.), wichtig ist eben, daß Gehörlose sich dort in ihrer Sprache unterhalten können. Die meisten bieten DGS-Kurse (Deutsche Gebärdensprache) an für Hörende, denen unserer Meinung nach nicht die Angst genommen werden muß, um sich mit Gehörlosen zu unterhalten, da Gehörlose im allgemeinen nicht beißen.

Grundsätzlich ist es natürlich sehr erfreulich, daß endlich mal ein Artikel über gehörlose Lesben und Schwule erschienen ist, der „Tenor“ ist aber leider nicht zufriedenstellend und verklärt unseres Erachtens an einigen Stellen mehr, als daß er aufklärt. Insgesamt betrachtet hinterläßt der Artikel unserer Meinung nach den Eindruck, daß schwule und lesbische Gehörlose im allgemeinen arme, hilflose Geschöpfe sind, die sich nicht trauen, in die Öffentlichkeit zu gehen. Deshalb ist es wichtig, nochmal klarzustellen, daß der Artikel sehr unkritisch und verallgemeinernd ist, sowohl in bezug auf Gehörlose, aber auch in bezug auf Hörende, und deutlich zu machen, daß gehörlose Lesben und Schwule genauso verschieden sind wie andere auch.

C. Rathmann, S. Heitmann,

A. Staab, N. Ostrycharczyk,

E. Romagosa, S. Rourestier