Dreck, Erotik und Korruption

■ Kushwant Singh erzählt in „Delhi“ die Geschichte der Stadt

Daß auch jenseits Großbritanniens und Amerikas Romane auf Englisch geschrieben werden, ist bekannt. Daß aber bereits neun Romane, die in indischem, polynesischem oder anderem „Patchwork-Englisch“ geschrieben wurden, den angesehenen Londoner „Booker“-Preis erhielten, vielleicht weniger. Auch Kushwant Singh ist wie fast alle postkolonialen Autoren ein in zerrissenen Sprachwelten aufgewachsener Weltbürger. 1915 in Panjab (heutiges Pakistan) geboren, zählt er zu den bekanntesten Journalisten und Kulturgeschichtlern Indiens. Singh war Diplomat der indischen Regierung u.a. in Kanada, London und Paris. Sein Alterswerk Delhi, das 600 Jahre indische Geschichte Revue passieren läßt, ist in Indien zu einem Bestseller geworden. Wie Rushdie auch steht Singh auf einer Todesliste: der der Sikh-Separatisten.

Der Hamburger Verlag Dölling und Galitz betritt mit der Veröffentlichung des Romans Delhi erstmals belletristisches Terrain. Vielleicht erklärt sich gerade deshalb die engagierte Aufmachung zwischen den Buchdeckeln. Delhi umfaßt beinahe 40 Seiten Glossar und Personenregister und erscheint in einer hervorragenden, aber verlegerisch gewagten Übersetzung: Auf die Eindeutschung von etwa 500 Begriffen aus dem Hindi, Urdu, Sanskrit, Persischen und Arabischen wurde verzichtet. Allein die sich so auftuenden phonetischen Klangräume lassen atmosphärische Welten entstehen, die man im Nachhinein nicht missen möchte.

Sein Erstling Eine gute Partie wurde übrigens hierzulande breit rezipiert und ebenfalls in einem Hamburger Verlag – bei Hoffmann und Campe – veröffentlicht.

Kushwant Singh bevorzugt den dreckig-derben Ton. Die im heutigen Delhi angesiedelten Passagen in Singhs Roman erzählen von der Haßliebe eines in die Jahre gekommenen Journalisten zu seiner Stadt, die in den erotischen Begegnungen mit der Transsexuellen Bhagmati ihren Ausdruck findet. Sie ist stämmig und klein, hat ein pockennarbiges Gesicht, und ihre Zähne sind vom Betelsaft meist rotgefärbt. Sie ist das Sinnbild von Dreck, Erotik und Korruption: eben Delhi.

Die historischen Kapitel klären den Indien-Interessierten über die politische Herrschaftsgeschichte sowie die Geschichte von Baudenkmalen und Stadtentwicklung Delhis auf. Die memorierten Erlebnisse werden von wechselnden Erzählperspektiven rekapituliert. Respektlos läßt Singh berühmte Männer der indischen Geschichte im eigenen Namen sprechen.

Ein gewisses Befremden an diesem Buch soll jedoch nicht verschwiegen werden: Der maskuline Part an der Geschichte Delhis wirkt überbetont. Mann will nur das Eine, und das in vielen Variationen. Der Haremsbesuch als erotischer Steuerimpuls findet Einlaß in das Denken nicht nur der historischen Herrschergestalten, sondern auch im Alter Ego des Autors. Der Erzähler räumt dieses, aufrichtig wie er ist, zu Beginn auch ein: „Ein Delhi für Männer – gestern und heute, aber das soll es nicht sein.“

Die angesetzte Lesereise des Autors durch Deutschland mit heutigem Beginn im Literaturhaus mußte leider abgesagt werden. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Stefan Pröhl

Kushwant Singh – Delhi, Roman, Dölling und Galitz, 496 Seiten, 48 Mark