Freigeist unterm Rathausdach

■ Läßt Bremens Bürgermeister Klartext reden: Helmut Hafner, Ghostwriter und Aktivist aus Leidenschaft / Ausgezeichnet mit dem Friedens- und Kulturpreis der Villa Ichon

Selbst Spitzweg hätte sich diese Dichterklause nicht schöner ausmalen können. Eine kleine Kammer unterm Rathausdach; einziger Ausblick durch ein schmales Gaubenfenster, umrankt von allegorischen Figuren der Jahrhundertwende; davor ein Schreibtisch, ein Lottersofa, eine durchaus rüstige Stehlampe; das ganze Idyll überwuchert von Büchern und Aberbüchern, von Abraham bis Zion, von Marx bis Engels – „morgen kommen die neuen Regale“, frohlockt Helmut Hafner dem Besucher entgegen. Des Bürgermeisters Erster Redenschreiber in seinem Element.

Sollte man meinen. Aber solche Klischees lösen sich zügig in der Zimmerluft auf, wenn man mit Hafner ins Gespräch kommt. Denn Hafner ist nicht nur Geisterschreiber, sondern vor allem Freigeist. „Kein Politiker“, sagt er über sich selbst, „aber ein durch und durch politisch denkender Mensch“. Und politisch handelnder Mensch. Hafners Engagement für die Rechte von Sinti und Roma, seine Aufbauarbeit bei der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, sein zähes, ebenso unnachgiebiges wie freundliches Beharren auf der Möglichkeit gesellschaftlicher Veränderbarkeit: All das hat Hafner nun den „Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon“ eingebracht. Anfang März wird ihm die Auszeichnung, die zuvor Heinrich Albertz, Will Quadflieg und Karl Fruchtmann und anderen zuteil wurde, überreicht. Dann wird Hafner tun, was er im Rathaus kraft Amtes tunlichst bleiben läßt: reden.

Letzteres ist schließlich der Job des Bürgermeisters. Hafner hingegen schreibt Reden. Drei Bürgermeister und 13 Jahre lang macht Hafner inzwischen dieses Spiel mit verteilten Rollen mit, droben in der amtlichen Dichterklause. Wie hält es ein politisch Bewegter so lange in der Politik aus? Ohne selbst in Erscheinung treten zu dürfen? Einer, dessen Credo lautet: „Ich möchte nichts Falsches sagen; ich möchte so nah an der Wahrheit bleiben, wie es geht“?

In der Politik, sagt Hafner ohne Häme, „wird ja viel gelogen“. Nicht, weil Politiker passionierte Lügner wären. „Politiker haben ja eine Schwäche“, sagt er: „Sie wollen gewählt werden.“ Gewählt werden sie bekanntlich eher, wenn sie den potentiellen Wählern schöne Worte machen. Denn die Wahrheit tut weh. Deshalb spart man sie lieber aus. Hafners größtes Kunststück ist es vielleicht, die Wahrheit trotzdem immer irgendwie auszusprechen. Und sei es zwischen den Zeilen.

Nah an der Wahrheit zu bleiben: Das heißt für Hafner schlicht, genau auf die Sprache zu achten. Keine Floskeln, keine Verallgemeinerungen, keine verwässernden Adjektive. Der „brutale Mord an den Juden“, eine Standardformel, schwäche die Aussage doch schon ab. Gab es einen Judenmord, der nicht brutal gewesen wäre?

Nicht immer ließ sich Hafners Anspruch auf Integrität mit des Bürgermeisters Neigung zu Nettigkeiten vereinbaren. Eine Rede zum Neujahrsempfang gab Klaus Wedemeier seinem Schreiber komplett zurück: Hafner hatte die Zukunft Bremens und der Bundesrepublik nicht so rosig ausgemalt, wie es die Festgäste wohl brauchten. Ob Koschnick oder Wedemeier: Überarbeitungen waren an der Tagesordnung – nicht immer zum Schaden des Textes, räumt Hafner ein. Mit Koschnick habe er „stundenlang diskutiert“ über Christentum und Politik und wie man diese Themen darstellen könnte.

Eine Herausforderung blieb, durch alle Regierungswechsel hindurch, die Thematisierung des Judenmordes – „mein Lebensthema“, sagt Hafner. Ein „Bruch in der Geschichte“, der ihn wach alle Regungen von Menschenfeindlichkeit verfolgen läßt. Die Liste der deutschen Redner, die sich bei diesem Thema im Ton vergriffen, ist lang. Hafner aber versucht es immer wieder. „Wenn die Opfer in der ersten Reihe sitzen würden“, überlegt er sich beim Schreiben, „würden sie dann bei der Rede sitzenbleiben?“

Bei diesem Thema hielt es Hafner auch nicht im Hintergrund. In der Deutsch-Israelischen Gesellschaft fordert er mit seinen Beiträge, seinen Reden die Gäste immer wieder zum Erinnern, Nachdenken und Mitreden auf. Zur Friedenspolitik hat er sich, seit er Mitte der 70er Jahre nach Bremen kam, ebenso kritisch geäußert wie zum Umgang mit Minderheiten. Gern würde er noch mehr Debatten entfachen, „die Leute noch mehr herauslocken“. Denn mit der Bremer Streitkultur sei es im Augenblick ja nicht weit her. „Man müßte jetzt mal ganz konkret über den Stellenwert von Kultur streiten“, schlägt Hafner vor. Die Bremer müßten sich, ganz im Sinne Hafners, zu unbequemen Wahrheiten durchringen: „Was können wir uns noch leisten, was wollen wir behalten? Welche Alternativen haben wir?“

Vielleicht hat Hafner demnächst mehr Zeit, sich um um solche Fragen zu kümmern, und zwar unter eigenem Namen. Seit dem Regierungswechsel hat Hafner einen neuen Partner im gemischten Doppel. Und das Team Hafner-Scherf hat sich bisher noch nicht so recht eingespielt. „Im Grunde will Henning Scherf keine fertigen Reden“, weiß Hafner; der neue Chef liebt bekanntlich die freie, schwärmerische Rede. Schlechte Auftragslage für den Redenschreiber: „Meine berufliche Zukunft hier im Rathaus ist noch nicht klar bestimmt.“ Aber falls Hafner die Dichterklause tatsächlich mal aufgeben muß, bleibt ihm im Rest der Welt ja noch genug zu tun.

Thomas Wolff