Sanssouci: Vorschlag
■ „Aus dem Archiv der Experimente“: Reihe im Arsenal-Kino
Gott sei Dank: Lemminge. Aus dem Film „C'mon Babe“ von Sharon Sandusky Foto: Verleih
Filmlegenden führen ein hartes Leben. Sind sie einmal tot, so wie die „Heldin“ von Bruce Conners „Five Times Marilyn“ aus den frühen Siebzigern, wird es erst recht brisant. Zu den Klängen von „I'm through with love“ werden der Leinwand-Ikone in Conners Kurzfilm wieder und wieder die gleichen Pin-up-Posen aufgezwungen. Neben der Frage, ob hier wohl die junge Norma Jean selbst oder eine Kopie chargiert, demonstriert und demontiert Conner exemplarisch die voyeuristische Bildlichkeit.
Filme wie diese zeigt das Arsenal unter dem Titel „Aus dem Archiv der Experimente“ ab heute einmal im Monat. Gedacht als kleine Filmkunde des Avantgarde- und Experimentalfilms, laufen vor allem Kurzfilme aus dem noch von Alf Bold für die „Freunde der deutschen Kinemathek“ zusammengetragenen experimentellen Fundus der Kinemathek.
Ein besonderes Beispiel struktureller Filmforschung mit den Mitteln des Mediums selbst ist „Line Describing a Cone“ des Amerikaners Anthony McCall. Während die ZuschauerInnen angehalten sind, nicht auf die Leinwand zu schauen, baut sich mittels Projektorstrahl Stück für Stück eine konische Lichterscheinung im Raum auf. Daß die „Bilder“ dieser Vorführung aus „Schmutzpartikeln in der Luft oder Zigarettenrauch“ entstehen, dürfte ebenso wie das ausdrückliche Rauchgebot im Kino ausreichen, um sich wirkungsvoll des experimentellen Purismus des Entstehungsjahres 1973 zu versichern. Ganz allein mit dem Lichtstrahl und einer Zigarette, das ist wie „The Purple Rose of Kairo“ mit Harvey Keitel als HB-Männchen. Nur eben nicht auf der Leinwand, sondern in deinem Kopf.
Komsumierbarer ist da schon „C'mon Babe“ (1988) von Sharon Sandusky. Found-Footage-Material, also bereits Gefilmtes, in diesem Fall Tierfilmsequenzen über den rätselhaften Massenselbstmord der Lemminge, montierte die Filmemacherin zu einer bitterbösen Parodie auf das moralisierende Pathos des Originals. Die apokalyptisch schwadronierende Fünfziger-Jahre- Lehrfilmstimme konkurriert dabei überaus unterhaltsam mit öligem Schnulzenmaterial der selben Ära. Die Lemminge ihrerseits pesen vor Western-Sonnenuntergängen über das norwegische Flachland – immer auf den Abgrund zu. Zu Recht wurde dieser Kurzfilm als „Blue Velvet des Experimentalfilms“ apostrophiert. Gudrun Holz
Heute sowie an jeweils einem Donnerstag im Monat, 21 Uhr, Arsenal-Kino, Welser Straße 25, Schöneberg
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