point'n'click
: Knobel-Kurzweil

■ „Per.Oxyd“, ein Klötzchen-Denkspiel

Die Grafiken sehen aus, als habe jemand sein persönliches Windows 95 aus den Teilen eines alten Stabilbaukastens gebastelt (im Geiste von Jean Tinguely)! „Per.Oxyd“ ist die zweite Fortsetzung eines Denk- und Geschicklichkeitsspiels, das Meinolf Schneider ursprünglich für den heute fast schon kultigen Atari ST konzipiert hat. Das Game entwirft fiktiv-technoide Benutzeroberflächen, die keinen funktionalen Sinn machen, nichts als ästhetisches Vergnügen bzw. Knobel-Kurzweil ohne Ende bereiten wollen.

Die Aufgabenstellung von „Per.Oxyd“ klingt eher einfach: Mit Hilfe der Mouse wird eine schwarze Glaskugel durch labyrinthische, oft mehrere Bildschirme große Klötzchen-Welten dirigiert! Ziel ist es, verborgene Oxyd-Steine aufzuspüren, die bei Berührung ein bestimmtes Farbmuster anzeigen. Stößt man nacheinander zwei Steine mit gleichem Farbsymbol an, bleiben sie geöffnet; ein Level gilt als gewonnen, wenn alle Steinpaare memorymäßig einander zugeordnet sind. Das Ganze ist aber vertrackter, als es zunächst scheint – machen doch die mit Würfeln, Stangen, Gittern, Fliesen aus Holz, Metall, Kunststoff, Glas übersäten Spiel-„Landschaften“ Not mit jedem topographischen Detail. Die stereometrischen Bausteine der digitalen Assemblagen entpuppen sich konsequenterweise als Hindernisse, Fallen, Puzzles.

Das Spielprinzip offenbart – nach den geruhsamen Auftaktleveln – rasch seine Tücken. Schon die Steuerung der Glaskugel gestaltet sich eher knifflig, reagiert doch die physikalisch korrekt an Banden und Objekten abprallende Murmel hypersensibel auf die Mouse-Eingabe.

Im Prinzip eine abgefahrene Mischung aus Billard, Minigolf und Kegelbahn – angereichert mit Puzzleeinlagen, deren Bewältigung eine gehörige Portion strategisches Denken erfordert. Der direkte Weg zu den Oxyd- Steinen ist meistens verbaut und nur auf Umwegen zu erreichen. Es gilt, blockierende Steinreihen planvoll zu verschieben oder sich einen Weg durch ineinander verkeilte Drehtüren zu bahnen. Öfters findet man Schalter und Sensorplatten, mit denen man Schiebetüren öffnen oder Laserstrahlen anwerfen kann. Letztere lassen sich über schwenkbare Spiegel so ablenken, daß sie auf einen bestimmten Punkt treffen. In der Landschaft herumliegende Münzen, Hämmer oder Bomben werden durch Überrollen aufgesammelt und im Spielverlauf verwendet. Das Handbuch verspricht 250 verschiedene Spielelemente, deren Eigenheiten und Wechselwirkungen man nur durch Experimentieren herausfinden kann. Durch immer neue Kombination der Elemente wird – mit geringem technischen Aufwand – ein Höchstmaß an Variation erreicht: Die angebotenen 200 Level (darunter 100 Level im „Linkspielmodus“; Landschaften für zwei Kugeln, die solo oder von zwei Spielern via Modem-Rechnerkopplung gemeinsam gelöst werden können) sind tatsächlich das Abwechslungsreichste, was ich in dem Genre bislang gesehen habe: Jede „Per.Oxyd“-Landschaft bietet eine ganz eigene, mal mehr das manuelle Geschick, mal mehr das Tüfteltalent des Spielers ansprechende Herausforderung.

Das von der kleinen Neckargemünder Softwarefirma Dongleware als Shareware vertriebene Programm paßt auf eine einzige HD-Diskette – und dennoch wirkt es professioneller als so mancher CD-ROM-Multimedia-Bolide. Wie „Bolo“, ein ähnlich gelagertes Produkt aus demselben Haus, kokettiert auch „Per.Oxyd“ mit einem meditativen Ambiente (bei „Bolo“ noch unterstützt durch den New-Age-Soundtrack des Musikers Nik Tyndall); aufgrund des gebotenen Schwierigkeitsgrades steht der Spieler aber – Yin hin, Yang her – öfters hart am Rand des Nervenzusammenbruchs!

Ganz nebenbei bietet „Per. Oxyd“ sozusagen Kunstgeschichte zum Anfassen. Die Ähnlichkeit der Level-Grafiken zu gewissen Klassikern der konstruktivistischen Malerei ist wirklich frappierend. Man fühlt sich an die Proun-Gemälde von El Lissitzky, an Bilder von Moholy-Nagy oder van Doesburg erinnert. Deren mathematisch- abstrakter Maschinenkunst fehlte ja quasi nur ein Mouse- Anschluß: In Vordemberge- Gildewarts „Komposition Nr. 19“ von 1926 ist sogar schon die Kugel vorhanden, die nur darauf zu warten scheint, daß sie vom Betrachter/Spieler auf ihre Reise durch den aus Rechtecken und Winkeleisen kombinierten Bildraum geschickt wird. Eine ganz neue Annäherung an die in den Museen dieser Welt entgelagerten Ikonen der modernen Malerei tut sich auf: Plug & Play mit MERZ, Malewitsch und Mondrian.

Wir spielen, bis uns der Tod abholt ... Ulrich Hölzer

„Per.Oxyd“ (Dongleware) – erschienen für PC und MAC. Vollversion DM 60. Vollversion über: Dongleware, Postfach 1163, 69139 Neckargemünd.