Spekulationen über die geplanten Wahlen nach Putsch in Sierra Leone

■ Der Militärmachthaber Strasser ist gestürzt worden. Die Aussichten auf ein Ende des Bürgerkrieges sind gering

Nairobi (taz) – Die neuen Militärmachthaber in dem westafrikanischen Land Sierra Leone haben versprochen, mit den Vorbereitungen für geplante Mehrparteienwahlen fortzufahren. Ein Sprecher der Junta beschuldigte den bisherigen Präsidenten Valentine Strasser, dieser habe an der Macht festhalten und den Urnengang nicht zulassen wollen. Das sei der Grund für den Putsch gewesen, durch den der 29jährige Strasser am Dienstag gestürzt worden sei.

Diplomaten bezweifeln allerdings die Darstellung des neuen Regimes, da Strasser in den letzten Monaten mehrfach angekündigt hatte, sich aus der Politik zurückziehen und nicht mehr für ein Amt kandidieren zu wollen. Die Mehrparteienwahlen waren ursprünglich für den 26. Februar geplant gewesen. Gestern erklärte ein Militärsprecher im britischen Rundfunksender BBC auf die Frage, ob der neue Machthaber tatsächlich zum Rücktritt bereit sei: „Er wird es zu gegebener Zeit tun.“

Valentine Strasser, der 1992 selbst durch einen Putsch an die Macht gekommen war, soll sich inzwischen im benachbarten Guinea aufhalten. Augenzeugen wollen ihn, von Soldaten umgeben und mit Handschellen gefesselt, vor der Botschaft Sierra Leones in Conakry gesehen haben. Sein Nachfolger und bisheriger Stellvertreter, Brigadier Julius Maada Rio, stammt aus dem Osten des Landes, einer Region, die besonders schwer von dem seit Jahren in Sierra Leone tobenden Bürgerkrieg betroffen ist. Zehntausende Todesopfer, darunter zahlreiche Zivilisten, sollen die Auseinandersetzungen bereits gefordert haben. Die Infrastruktur des Landes ist ruiniert. Fast eine Million der insgesamt etwa vier Millionen Einwohner leben als Flüchtlinge außerhalb der Landesgrenzen.

Ein ideologischer Konflikt läßt sich im Zusammenhang mit dem fünfjährigen Bürgerkrieg nicht erkennen – es scheint allein um die Machtfrage zwischen der „Revolutionären Vereinigten Front“ und den Regierungstruppen zu gehen. Der Guerilla, die von Rebellenchef Charles Tayler im benachbarten Liberia unterstützt wird, werden schwere Menschenrechtsverletzungen, Raubüberfälle, Plünderungen und systematische Terrorisierung der Bevölkerung zur Last gelegt. Die Folge des Krieges: Das an Bodenschätzen wie Diamanten, Gold und Basalt reiche Sierra Leone gehört zu den ärmsten Staaten der Welt. Das Bruttoinlandsprodukt entsprach 1990 dem einer westdeutschen Kleinstadt.

Die Zukunft des Landes ist auch dann ungewiß, wenn die neuen Machthaber tatsächlich Wahlen zulassen, da ein Ende des Bürgerkrieges nicht in Sicht ist. Die Zahl der Soldaten hat sich unter Strasser auf 13.000 Mann verdoppelt. Schlechte Ausrüstung und mangelhafte Bezahlung haben allerdings zu einer hohen Zahl von Desertionen geführt. Bislang haben Regierung und Rebellen noch nie direkt miteinander verhandelt. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß sich daran etwas ändern wird. Bettina Gaus