„Auch die dreckigste Macht ist immer etwas Schönes“

■ Mit einer Plakataktion geißeln Künstler und Politiker die Chinapolitik des Bundeskanzlers

Berlin (taz) – Heiner Müller war gerade unter die Erde gebracht, da machte ein gutes Dutzend der Trauergäste mobil. Beim evangelischen Kunstdienst im Berliner Dom präsentierten Christoph Hein, Marianne Birthler, Klaus Staeck, Daniela Dahn, Gerhard Wolf und andere prominente Ost- Intellektuelle ein bis dato einmaliges Gemeinschaftsprojekt. Ein Plakat gegen das „vorsätzliche Schweigen“ Helmut Kohls bei seinem Armeebesuch in China.

Fünfundzwanzig KünstlerInnen und PolitikerInnen übernahmen Kosten und Verantwortung für die Arbeit des Pankower Grafikers Manfred Butzmann, darunter auch Günter Grass, Christa Wolf, Gerd Poppe und Wolfgang Ullmann. amnesty international will das Plakat vertreiben, das auf einem Fotoausriß aus der Zeitschrift Focus Helmut Kohl vor der ihm paradierenden Volksbefreiungsarmee zeigt. Kontrastierend steht darunter ein Text des Dichters Yang Lian zur Verurteilung des chinesischen Dissidenten Wei Jingsheng nach Kohls Besuch: „Und die Welt läßt sich diese Beleidigung gefallen – weil sie selbst schamlos ist. Sie schüttelt den Mördern die Hände; nicht etwa, weil sie deren Tote vergessen hätte, sondern weil sie sich nur gut erinnert: Auch die dreckigste Macht ist immer etwas Schönes.“

Ihn habe es „wütend“ gemacht, klagte Manfred Butzmann, wie schnell über Kohls peinliche Ehrenrettung der Volksbefreiungsarmee hinweggegangen worden sei. Kohls Schritt hat vor allem im Osten „extreme Unsensibilität“ bewiesen, beklagte Marianne Birthler. Habe doch die DDR das Modell China 1989 so gelobt und beinahe zum Vorbild genommen, die Demokratiebewegung gewaltsam niederzuschlagen. In Leipzig waren schon Krankenhäuser geräumt und gesonderte Blutbänke angelegt worden, erinnerte Christoph Hein. Soldaten hätten „geheult“, weil sie wie in China auch auf ihre eigenen Verwandten schießen sollten. Die Aufgabe von Künstlern sei, gegen das Vergessen zu arbeiten und sich öffentlich einzumischen, begründete Klaus Staeck die Plakataktion. Endlich wären Intellektuelle aus Ost und West wieder aus ihrer Lethargie erwacht. Diese „gefährliche Gefahrengemeinschaft“ werde noch häufiger von sich hören lassen. Hoffentlich. Holger Kulick

P.S.: Das Plakat kann über amnesty international oder beim Evangelischen Kunstdienst im Berliner Dom gegen eine Spende erworben werden.