Herbsttage, die die Republik erschütterten

■ Die gewaltsam beendete Flugzeugentführung war der Auftakt für den Höhepunkt des „Deutschen Herbsts“ 1977: Die RAF hatte ihre Märtyrer, Schleyer wurde ermordet

Souhalia Andrawes Sayeh wollte nicht aufgeben. Obwohl die junge Palästinenserin aus mehreren Schußwunden blutete und auf einer Trage weggebracht werden mußte, rief sie: „Wir werden siegen, auch wenn ihr mich tötet.“ Die Finger zum Victory-Zeichen gespreizt, schrie die Schwerverletzte am 18. Oktober 1977 auf dem Flughafen von Mogadischu den Mitgliedern der GSG 9 entgegen: „Kill me, kill me!“ Es war das Ende eines Geiseldramas, das es so bisher noch nicht gegeben hatte.

Nur wenige Minuten zuvor hatten Elitepolizisten der GSG 9 kurz nach Mitternacht die 82 Passagiere und vier Besatzungsmitglieder der Lufthansa-Maschine „Landshut“ aus der Gewalt des palästinensischen Kommandos befreit. Keine fünf Minuten dauerte der Einsatz, die Antiterroreinheit sprengte die Türen, stürmte die Kabine und eröffnete das Feuer. Drei der vier Kommandomitglieder starben, schwer verletzt überlebte Souhaila Sayeh als einzige. Nur einer der Polizisten und vier Geiseln wurden leicht verletzt.

Die Stürmung des Passagierflugzeuges im somalischen Mogadischu war aus Sicht der Fahndungsbehörden ein voller Erfolg. Die gewaltsam beendete Flugzeugentführung war aber gleichzeitig Auftakt für den Höhepunkt des „Deutschen Herbsts“ 1977.

Angefangen hatte der am 5. September in Köln mit der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer durch das RAF-Kommando „Siegfried Haussner“. Mit der Entführung Schleyers beabsichtigte die Rote Armee Fraktion, elf inhaftierte Genossen aus den Gefängnissen freizupressen. Da aber die Bundesregierung nicht nachgab, sollte das Kommando „Martyr Halimeh“ von der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP), die mit der RAF kooperierte, mit der Kaperung der „Landshut“ am 13. Oktober auf dem Flug von Mallorca nach Frankfurt den Druck auf die Bonner Politiker erhöhen.

Nachdem die Nachricht von der Geiselbefreiung über den Rundfunk verbreitet war, wurden am Morgen des 18. Oktober die RAF- Gefangenen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe in der Haftanstalt Stuttgart- Stammheim tot aufgefunden. Die Deutsche Presseagentur meldete um 8.58 Uhr, die Inhaftierten hätten Selbstmord begangen. Am darauffolgenden Tag wurde dann im elsässischen Mülhausen die Leiche Schleyers gefunden.

In einem Telefonat mit einer Nachrichtenagentur erklärte eine Frau: „Wir haben nach 43 Tagen Hanns Martin Schleyers klägliche und korrupte Existenz beendet. Herr Schmidt, der in seinem Machtkalkül von Anfang an mit Schleyers Tod spekulierte, kann ihn in der Rue Charles Péguy in Mülhausen in einem grünen Audi mit Bad Homburger Kennzeichen abholen.“ Schleyer wurde mit drei Schüssen in den Kopf getötet.

Kein Ereignis hat die Bundesrepublik in der Nachkriegsgeschichte so geprägt wie der Deutsche Herbst. Details der verschiedenen Aktionen sind bis heute nicht restlos geklärt. Zum Beispiel, wer aus dem „Kommando Siegfried Haussner“ den Arbeitgeberpräsidenten ermordete. Weitgehend unbekannt ist auch, wie RAF und PFLP konkret zusammenspielten und wer eigentlich die Idee für die Entführung des Passagierflugzeuges aufbrachte.

Bis zum Fall der Mauer und der anschließenden Festnahme von RAF-Aussteigern, die in der DDR einen Unterschlupf gefunden hatten, hielt sich in der linksradikalen Szene auch hartnäckig die These, daß Baader, Ensslin und Raspe im Hochsicherheitstrakt von Stuttgart-Stammheim vorsätzlich getötet wurden. Offen ist auch die Frage, ob das Palästinenser-Kommando nicht sogar von einem der Nahost-Staaten unterstützt wurde und ob nicht irgendwelche Geheimdienste bei der Flugzeugentführung die Finger im Spiel hatten. 18 Jahre danach erhoffen sich die Ankläger aus der Bundesanwaltschaft jetzt ein wenig Aufschluß durch die Aussagen von Souhaila Sayeh. Wolfgang Gast