Offener Koalitionsdissens im Bundestag

■ Bei der aktuellen Stunde im Bundestag über Koalitionskrise erweist sich die FDP-Kritik am Solidaritätszuschlag auch für die CDU als Wahlkampfgetöse

Bonn (taz) – Für die Grünen war es eine heitere Stunde. Zur Koalitionskrise im Streit über den Abbau des Solidaritätszuschlags hatten sie mühsam eine aktuelle Stunde durchgesetzt. Nur wenige Abgeordnete kamen, aber die, die redeten, machten deutlich: die Grünen haben recht. Der Dissens, ob 1997, wie die FDP es will, oder ob erst später der Ostzuschlag abgebaut werden kann, wurde offen ausgetragen.

Der FDP-Abgeordnete Carl- Ludwig Thiele forderte, den Solidarzuschlag ab 1997 zu senken, „darin sind wir uns in der FDP einig“. Die Redner der CDU beschrieben diese Position aber als „unrealisierbar und unrealistisch“, so der Leipziger CDU-Abgeordnete Gerhard Schulz. Die Wachstumsrate im Osten sei bereits von 8,5 Prozent 1994 auf 6,3 Prozent 1995 gesunken und „1996 wird nur eine fünf vor dem Komma stehen“, so daß sich die Schere zwischen Ost und West „immer langsamer schließt“. Aus „wahltaktischen Gründen“ habe die FDP wohl ihre Antiposition formuliert.

Genau das warfen auch SPD und Grüne der FDP vor. Werner Schulz von Bündnis 90/Grüne forderte „Handlungen, aber nicht Koalitionsverhandlungen“. Mit „Populismus statt Politik“ würde von der FDP versucht, sich auf Kosten des Aufbaus Ost und der Menschen in den neuen Bundesländern zu profilieren. Das sei ein „dünnes Muskelspiel“ der Liberalen.

Auch Ingrid Matthäus-Maier (SPD) geizte nicht mit Worten. „Einfach nicht mehr regierungsfähig“ sei diese Koalition. Was die FDP wahltaktisch inszeniere, sei ein „Trauerspiel besonderer Art“. Daß der Kanzler die nicht zur Ordnung ruft, mache deutlich: „Ein Bundeskanzler, der lieber Kochbücher herausgibt, statt dieses Theater zu beenden, verfehlt seine Aufgabe.“ Der parlamentarische Staatssekretär Hans-Georg Krause machte dann deutlich, daß die FDP tatsächlich nur Traumwolken schiebt. Es gäbe keine Steuerschätzungen, die es erlauben würden, überhaupt vor 1998 an einen Rückbau des Solidaritätszuschlags zu denken, andere „Zugeständnisse sind nicht drin“. Herr Thiele „kann hier doch persönliche Meinungen vortragen“, sprach Krause Richtung dünn besetzter Bank der Liberalen, obwohl jener für die ganze FDP vor dem Plenum sprach. Für Wolfgang Ilte von der SPD war daraufhin klar, „die Krise der Koalition ist offensichtlich – in jedem Beitrag hier“. Joschka Fischer hatte schon am Morgen das FDP-Aufbegehren ihrer „drei Musketiere“ als makabren Wahlkampfspuk bezeichnet. Ihr ginge es um kurzfristige Profilierung, um ihrer Westklientel sicher zu sein. Den Aufbau Ost treibe sie damit aber „in den Ruin“. Holger Kulick