Pack den Tiger in die Bank!

■ Die ganze Wahrheit über die Tiger-Connection von Sparkasse und WWF

Sie haben einen weißen Bauch. Einen gutmütigen Gesichtsausdruck, auf den man sich „bei einem zufälligen Zusammenstoß nicht verlassen soll“. Die Männer haben einen Backenbart, zwei Frauen und beanspruchen bis 3.000 Quadratkilometer. Die Frauen sind „sehr emanzipiert“, suchen sich den Sexpartner selbst und verlassen ihn nach erfolgreichem Beisammensein. Handelte es sich um Menschen, würden die Frauen ihre Männer gewiß liebevoll „Tiger“ nennen. Doch es handelt sich um Tiger. Genauer: sibirische Tiger. Möglicherweise gibt es nur noch 200 sibirische Tiger in freier Wildbahn. Aber zum Trost gibt es in der Bremer Sparkasse ein Faltblatt. Auf dem steht alles über Tiger. Sogar eine Tiger-Hotline: Wer 0180/3306206 wählt, erfährt noch mehr über Tiger. Wo sie leben. Wie sie leben. Wie man Anti-Wilderer-Gruppen unterstützen kann. Zum Beispiel. Der Informant am anderen Ende der Hotline: die Umweltstiftung WWF in Frankfurt.

Nach dem Studium des Faltblattes, das in Sparkassenfilialen ausliegt und von Schulen angefordert werden kann, kann auch der Schlechteste kein Tigerfeind mehr sein. Obwohl auch sie zur Familie der „Katzenartigen“ gehören, zu der auch die „Zimmertiger“ genannte Hauskatze gehört. Es sind „herrliche Geschöpfe“, die schnell mal vier Meter von der Schnauze bis zur Schwanzspitze messen. „Allgemein anerkannt“ sind acht Unterarten, davon leider drei schon „unwiderruflich ausgestorben“. Hier schmerzt besonders die Unwiderruflichkeit den frischgebackenen Tigerfreund.

Das Schönste am Tiger, besonders am sibirischen Tiger, ist „seine Majestät“. Auf der Stirn trägt er das chinesische Zeichen „Wang“: König. Doch gerade das bekommt ihm schlecht, und oft genug: unwiderruflich schlecht. Wenn das Faltblatt nicht von der Sparkasse bezahlt und vom WWF bedruckt worden wäre, man würde es nicht glauben: Es gibt in Taiwan eine „Tigerwein-Brauerei“, die jedes Jahr zwei Tonnen Tigerknochen aufkauft und daraus jeweils 100.000 Flaschen Tigerwein braut. Die traditionelle chinesische Medizin (TCM) macht praktisch noch aus dem letzten Zehennagel des Tigers eine Medizin, falls Tiger überhaupt Zehennägel haben. Wo sich mit ein paar Kilo Tigerknochen tausende von Dollars verdienen lassen, sind die Wilderer nicht fern. Und wenn sich auch viele über den Zusammenbruch der Sowjetunion freuen - die Tiger freuen sich nicht. Für Wilderer sind die Grenzen nach China (TCM!) offen.

Der WWF tut viel für die Tiger. Er gibt „Antiwildererbrigaden“ Geld und Ausrüstung. Erhöht die Tiger-Akzeptanz der betroffenen Bevölkerung (deren Vieh und Hunde gern vom Tiger gefressen werden; auch im Zuckerrohrfeld, wo manche Tigerin „ihr Wochenbett einrichtet“, kommt es zu „Zusammenstößen“). Und: Der WWF unterstützt „über 600 erfahrene Tigerzähler“. Durch Spenden kann jeder, „ohne Mitglied im WWF zu sein“, den Tigern helfen.

Und was hat die Sparkasse in Bremen vom Vierfarb-Faltblatt? Das ist schnell erklärt. Wie die Zeitschrift „Finanztest“ in ihrer Ausgabe vom Juli/August 1993 bekanntgab, „flüstern Mitarbeiter in ihren Büros schon vormittags Tiger, Hasilein oder Goldstück in ihre Telefonhörer. Was sich anhört wie ein Tête-à-Tête am Telefon, ist nur die Abwicklung privater Bankgeschäfte.“ Tiger: eins der beliebtesten Codewörter überhaupt. Das Tiger-Faltblatt ist eine sublime Werbeaktion fürs Telebanking bei der Sparkasse! So einfach ist das, und dient doch dem guten Zweck. BuS