"Meine Person wird akzeptiert"

■ Jerzy Kanal bleibt überraschend Vorsitzender. Turbulente Sitzung in der Jüdischen Gemeinde. Ein Brief des Zentralratsvorsitzenden Ignatz Bubis gab den Ausschlag für den Verbleib im Amt bis 1997

Hinter den Kulissen muß es in der Jüdischen Gemeinde gewaltig gerumst haben. Tagelang hatte der Vorsitzende Jerzy Kanal (74) seinen vorzeitigen Rücktritt für den 17. Januar angekündigt und für den gesamten Vorstand gleich mit, und dann am Mittwoch abend der überraschende Rückzieher. Als der entscheidende Satz, „als Konsequenz habe ich mich entschlossen, nicht zurückzutreten“ fiel, klatschten im überfüllten Gemeindesaal einige Dutzend ostentativ Beifall. Und fast genau so viele riefen „Buh“.

Bis zum Ende der Legislaturperiode im März 1997 wird es also bleiben, wie es seit Jahrzehnten ist: Der Liberal-Jüdische Block (LJB) regiert, und die Demokratische Liste (DL) opponiert. Deren Kronprinz Moische Waks (43) reagierte bleich, aber gefaßt: „Wir werden mit allen demokratischen Mitteln für unsere Interessen kämpfen. Jede sinnvolle Initiative werden wir zum Wohle der Gemeinde mittragen.“ Er hoffe auf eine klare Chance bei den nächsten Wahlen.

Mit einem anderthalbstündigen Bericht über die Arbeit des Vorstandes seit Heinz Galinskis Tod 1992 hatte Jerzy Kanal zuvor begründet, warum er und seine Kollegen von der LJB im Amt bleiben wollen und müssen. Ausführlich zählte er die Leistungen auf wie Integration der Zuwanderer, den Aufbau Ost, die Einrichtung des Centrum Judaicums, die jüdischen Kulturtage. Er betonte das Ansehen, daß er weit über Berlin hinaus genieße. „Meine Person wird akzeptiert, weil sie glaubwürdig ist.“ Kanal dankte insbesondere Maria Brauner, die im Vorstand für Soziales zuständig ist, und deren Rücktritt eine „Sünde an den Schwächsten der Gemeinde“ wäre.

Seine mit heftigen Angriffen gegen die DL gespickte Rede – sie sei „machtbesessen“, strebe sogar eine „Machtergreifung“ an, sie habe nur „gestört“ und Ausschüsse „für eigene Zwecke mißbraucht“ – endete mit dem Fazit: „Ich bezweifle, ob wir (die Gemeinde) es uns leisten können, auf diesen Vorstand zu verzichten.“

Als zweiten und dritten Grund für die Amtsweiterführung nannte Kanal das heftige Drängen des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, sowie ein Rechtsgutachten des Präsidenten des Berliner Verfassungsgerichtes, Klaus Finklenburg. So habe Bubis ihm geschrieben: „Ich bitte dich bei allem Verständnis, bis zu den nächsten Wahlen deine Aufgaben zu erfüllen und deine Bedenken zu revidieren“. Bubis Hinweis, daß seine Parteilichkeit kein Versuch sei, sich in die Belange der Berliner Gemeinde einzumischen, kommentierten Zuhörer mit Gelächter und „Hört, hört“-Rufen. Neben diesem auf ihn ausgeübten „starken Druck“, habe das Gutachten von Finklenburg ergeben, daß der Vorstand nicht zurücktreten brauche, wenn wie geschehen, die Repräsentantenversammlung dem Haushalt nicht zustimmt. Sie könne vielmehr auch mit einem Nothaushalt „regieren“. Als am Ende des langen Abends über eine Vorabbewilligung dieses umstrittenen Haushalts 1996 abgestimmt wurde, zeigte sich die Demokratische Liste trotz aller Angriffe versöhnlich. Acht von neun DL-Repräsentanten enthielten sich der Stimme. Sie entschärften damit den Konflikt, der dazu geführt hatte, daß Jerzy Kanal das Handtuch werfen wollte. Nach dieser Abstimmung, die – weil zwei DL- Mitglieder im Krankenhaus liegen und ein drittes DL-Mitglied die Fronten wechselte – der LJB mit zehn Stimmen gewann, bestellten die Sieger Selters und Kaffee. Es war die Revanche für den Wodka, den Moische Waks zuvor den Repräsentanten spendiert hatte. Anita Kugler