Anzeichen von Kastrationsängsten

■ betr.: „Riesenaugenbrauerei an deutschen Unis“, taz vom 13./14. 1. 96

Lieber Götz, zu Deinem Artikel fällt uns nichts weiter ein, außer: Kein Wunder, daß Du gerade oder „immer noch oder schon wieder oder is ja auch egal“ solo bist, wenn Du zwischen Kennenlernen und sexueller Belästigung nicht unterscheiden kannst. Offensichtlich brauchst Du erst mal einen ganz anderen Leitfaden! [...] Uli und Jenny, Berlin

Hier kommt das Zwerchfell des mit Sozialkritik bereits überlasteten taz-Lesers endlich auch noch auf seine Kosten. [...] Da wird ein Plakat, das mit – wie ich meine angemessenen – Schuldzuweisungen klarstellt, daß das Wort „Kavalier“ vor dem „Delikt“ der sexuellen Belästigung nichts zu suchen hat, in eine Reihe gestellt mit ausgeflippt-witzigen Zeiterscheinungen wie Nasenringen und farbigen Halstüchern: dieser Freak, die denkende Frau. Die ebenso überflüssige wie geschmacklose Frage „Wie kriegen wir die Liebe so richtig sauber?“ beendet dann zu guter Letzt dieses ach-so-humorvolle Plädoyer für die Beibehaltung altbewährten Paarungsverhaltens.

Daß die hohe Schule männlicher Anmache aber weder altbewährt ist noch humorvoll stimmt, gibt Herr Dahlmüller zum einen durch sein Bekenntnis zu, im Augenblick – und wie's der Zufall will – mal wieder solo zu sein. Zum andern drückt der wohl salopp gemeinte Überschriftsteil „Abt. Messer, Gabel, Schere, Licht“ Anzeichen von Kastrationsängsten aus, die nun in der Tat recht amüsant wirken: Hier fühlt man sich bevormundet, zum kleinen Jungen gemacht. Liebgewonnene phallische Spielsachen wie Messer, Gabel, Penis, Flirt drohen entzogen zu werden mit der Ächtung von Antatscherei, Pfiffen und taxierenden Blicken. Wie gut, daß da noch die (phallische) Schreibfeder bleibt!

Nicht von ungefähr beschränkt sich unser Gentleman-writer auf den deutschen Campus, denn was hierzulande noch journalistisch belächelt wird, kann mittlerweile an amerikanischen Hochschulen konkret juristische Folgen haben. Einheimische Unis scheinen einigen Nachholbedarf an rechtlicher „Augenbrauerei“ in Sachen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu haben, wenn man bedenkt, daß die auf dem Plakat der Frauenbeauftragten aufgeführten Nicht-Kavaliersdelikte in den USA durchaus zu Disziplinarverfahren und Kündigungen führen können, und das seit längerem. Wie wir die Liebe so richtig sauber kriegen? Vielleicht indem wir Männer uns das Lachen vergehen lassen (siehe Text zum Bild), wenn wir uns umdrehen und unsere wegen sexueller Gewalt im Alltag angeschwärzten Buckel erblicken. Und möglicherweise werden auch dem auf Freiersfüßen eilenden Herrn Dahlmüller keine Nachteile entstehen, wenn er das Schatzkästlein seines Humors erst mal zuschließt oder in den Herrenclub trägt. Georg Guillemin, Berlin

Hey, lieber Götz, Mensch Junge, Du bist genau der Richtige! Ich suche nämlich auch gerade den Mann meines Lebens. Am liebsten natürlich an meiner Hochschule. Finde ich echt megageil, daß Du sagst, was Du denkst und aussprichst, was andere nicht zugeben, aber tun. Ach Junge, Du bist so gradlinig und so aufrecht! Ah, apropos aufrecht, mich würde natürlich schon interessieren, was Du so in der Hose hast. Und außerdem so unter der Jeans trägst. Also Männer mit so Unterhosen, wo der Arsch bis in die Kniekehlen hängt, machen mich ja nicht so an. Also ich hoffe doch, daß Deine Figur und Dein Aussehen ein paar positiven Bemerkungen von mir, sprich, Komplimenten, standhalten. Ich sage nämlich immer gleich, was ich so denke. [...]

Na ja, und bevor ich Dir meine Bereitschaft für ein Date signalisiere, müßte ich schon noch so ein bißchen was über Dein Privatleben wissen. Also, ich frag' Dich jetzt einfach mal ganz locker: Was verdienst Du so im Monat? Was tust Du sonst noch gern, wenn Du nicht grad die Frau Deines Lebens suchst? Was hast Du denn so nächsten Freitag abend vor oder am Wochenende? Nun sag nicht, das geht mich nichts an, schließlich suchst Du doch die Frau Deines Lebens, und ich muß Dich ja nun wohl auch erst mal so 'n bißchen kennenlernen.

Also, ich hab' da einen Vorschlag: Laß uns doch einen Arbeitszusammenhang herstellen, und so nebenbei können wir doch so ein paar Sachen abklären. Wir könnten uns zum Beispiel am Freitag um zwölf Uhr in der Cafeteria im Pferdestall treffen, und dann kann ich ja schon mal gucken, wie Du so aussiehst, ob Deine Figur o.k. ist, ob Du abends denn Zeit hast, was Du am Wochenende vorhast...

Ich bin übrigens 58 1/2 Jahre alt. Was, dann hast Du kein Interesse an mir? Na, das gilt aber nun nicht. Nee, nee, nee – erst mal werde ich Dich taxieren, Dir Komplimente oder sonstige Bemerkungen über Deine Figur und Dein Aussehen machen; wenn Du einen klasse Arsch hast, kann ich mir ein paar Pfiffe nicht verkneifen, und die paar Fragen über Dein Privatleben mußt Du auch schon aushalten. Wie soll ich mich denn sonst als Suchende zu erkennen geben? [...] Liane Lieske, Hamburg

Nein, lieber Götz, die Gewalt lauert auch jetzt noch nicht in jedem Flirt. Jedenfalls nicht, solange nicht permanent Unterschiede geleugnet werden, die die Sache erst klarmachen. Muß frau erst mal in der Öffentlichkeit den Schwanz ihres Gegenübers vermessen, damit der Unterschied zwischen anziehendem Flirt und abstoßenden, taxierenden Blicken klar wird? Für den Fall, daß der Text wieder einmal irgendwie parodistisch gemeint sein sollte: In Betrieben und Büros (und Zeitungen) sind Plakate wie das abgedruckte bitter nötig. Warum, wissen wir alle. Auch Du, lieber Götz. Vielleicht gerade Du. Christina Hartmann, Hannover

[...] Die erwähnte Kampagne ist genau für solche einseitigen und phantasielosen Männer wie den Autor des Artikels gedacht, die nicht in der Lage sind, sich Frauen gegenüber anders als auf die uralte chauvihafte Tour zu verhalten, die auf dem abgedruckten Plakat beschrieben wird. Und die – statt ihr einseitiges Verhalten zu überdenken – gequirlte Scheiße für die taz schreiben, die diesen Blödsinn bedauerlicherweise auch noch abdruckt! Katharina Fleischmann, Berlin

[...] Um die Frage von Herrn Dahlmüller zu beantworten: er soll sich ein buntes Handtuch um den Kopf wickeln und schön zu Hause bleiben, dann bleibt den Frauen an der Uni und anderswo wenigstens sein Anblick erspart – die Zeit sollte er nutzen, sich damit zu beschäftigen, warum er keine Frau fürs Leben gefunden hat (kritische Umfrage bei eventuellen Verflossenen?).

Wenn er verstanden hat, daß solch eine Plakataktion notwendig ist, weil sexuelle Belästigung Gewalt (und kein Kavaliersdelikt) ist – und wenn er verstanden hat, daß es nicht darum geht, „die Liebe sauber zu kriegen“ (mit der Verharmlosung und Legalisierung sexueller Gewalt), und wenn er erfaßt, daß für viele Frauen die Gewalt wirklich überall lauert, dann kann er das Handtuch wieder abwickeln und hinaustreten, vielleicht findet er dann, mit nötiger Aufmerksamkeit und Respekt, die Frau seines Lebens... Katja de Bragança,

Andreas Kasack, Bonn

[...] Wer den Unterschied zwischen einem „taxierenden Blick“ und beispielsweise einem netten Zulächeln nicht kennt, wer Komplimente nur über Figur und Aussehen machen kann und dessen zweite Frage schon „Geh'ma zu mir oder geh'ma zu dir?“ lautet, sollte die Finger, Augen und sonstiges von Frauen lassen! Christine Nagl, Tier

[...] Soll ich nun lachen oder weinen über Götz Dahlmüller, der Kontaktaufnahme mit dem weiblichen Geschlecht nicht von sexueller Gewalt unterscheiden kann? [...] Andreas Riese, Oldenburg

[...] Du hältst Dich wohl für wahnsinnig witzig (ich hoffe für Dich und uns alle, daß das ein Scherz gewesen sein soll), wenn Du unter eine Auflistung all der Scheiße, mit der Frauen tagtäglich konfrontiert sind, ein „Das ist aber schade! Ich bin nämlich gerade solo“ setzt. Goetz Dahlmülller, ich wünsche Dir nichts mehr, als einen Monat als Frau studieren zu müssen... Vielleicht würdest Du die Situation dann ernster nehmen. [...] Claudia Kuper, Bremen

Auf den ersten Blick scheint dem Autor die Frage, wo sexuelle Gewalt beginnt, unwichtig zu sein, da er ein Plakat der Frauenbeauftragten lächerlich macht, das die geläufige männlich definierte Grenzziehung zwischen Belästigung und Gewalt kritisiert. Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, daß es ihm sehr wohl wichtig ist, wo die Trennlinie verläuft.

Um als Mann patriarchale Privilegien ausleben zu können, ist ein Begriff von sexueller Gewalt nützlich, der auf direkte körperliche Gewalt reduziert ist und somit vielen Männern die Abgrenzung (zu) leicht macht, da sie blind für subtilere Formen sind. Wird dies in Frage gestellt, sind die Abwehrreaktionen heftig: „Die Gewalt lauert mittlerweile in jedem Flirt“ unterstellt den Feministinnen, die Gewalt selbst produziert zu haben; sie wollten „die Liebe so richtig sauber“ kriegen, erweckt den Anschein langweilig-steriler Reinheit, frei von der ach so prickelnden Aggression. Diese polemische Haßtirade repräsentiert die Angst vieler Männer, durch Frauenkritik ihre eigenen Verhaltensweisen verändern zu müssen. Fabian Kröger, Berlin