„Schon fern und doch noch hier“

Im Osten ist der Schlagersänger Frank Schöbel „Kult“. Im Westen landete er zuletzt 1972 einen großen Hit. Nach der Wende schloß er sein Studio zu und hackte Holz. Jetzt singt und tourt Schöbel wieder  ■ Von Steve Körner

Es hätte alles ganz anders kommen können im Leben. Dann säße er jetzt da unten im Saal des Klubhauses von Leuna, hätte die von harter Mechanikerarbeit rauhen Fäuste mit den Ölspuren unter den breiten Nägeln in den Schoß gelegt und würde hochstaunen zur Bühne, wo ein gutgelaunter, kaum geschminkter und doch junggebliebener Frank Schöbel „Da war Gold in deinen Augen“ schmettert.

Solche Gedankenspiele macht Frank Schöbel manchmal. „Ich bin ja gelernter Mechaniker“, erinnert er sich dann, „deshalb kann ich mir das gut vorstellen.“ Auch, daß er dann vielleicht arbeitslos wäre. Oder Versicherungen verkaufen müßte. Bei „Stony“, einem seiner Lieblingslieder, würde Frank Schöbel im Frank-Schöbel-Konzert wahrscheinlich klatschen. Bei „Wie ein Stern“ wohl nicht. Das hat er sich mit den Jahren irgendwie doch übergehört, sagt er.

An den Tag, an dem alles anfing, erinnert sich Frank Schöbel natürlich genau. Da muß er keine Sekunde überlegen. Achte Klasse war das, Deutschstunde: „Ich saß letzte Bank Mittelreihe neben meinem Freund Otto, wir sangen ,Oh Sindy, Sindy, oh sind die denn ganz verrückt‘, und beschlossen Schlagersänger zu werden.“ Die Lehrerin sei „so eine fürchterlich Kleene“ gewesen. „Die hat zwar immer geguckt, wer ist denn das, aber erwischt hat sie uns nie.“

Frank Schöbel ist ein fröhlicher Mensch. Erzählt er Schnurren, und er erzählt andauernd welche, strahlen die blauen Augen unter dem naturkrausen Pony wie zwei Scheinwerfer. Der Otto, sagt er betrübt, und die Scheinwerfer gehen aus, der Otto ist dann später verschütt gegangen. Frank Schöbel nicht. Frank Schöbel wurde berühmt.

Rein statistisch betrachtet ist Michael Jackson nichts gegen ihn. Jeder seiner Hits war auf Platz 1, keines der zwanzig, zu DDR-Zeiten erschienenen Schöbel-Alben ging weniger als 100.000mal über den Ladentisch. Das 85er Werk „Weihnachten in Familie“ stellte mit 1,3 Millionen verkauften Exemplaren einen für alle Zeiten unerreichten Rekord auf: Keine andere Schallplatte steht in so vielen ostdeutschen Haushalten. In seinen 28 Jahren als erfolgreichster Unterhaltungskünstler der DDR drehte Frank Schöbel Komödien („Nicht schummeln, Liebling“), und er moderierte Radiosendungen („Beatkiste“), er hatte seine eigene Fernsehshow, bekam Preise im In- und Ausland und durfte Konzerte außerhalb der Landesgrenzen geben.

Danach fragen ihn auch heute noch immer alle zuerst. Wie er die Wende verkraftet hat und ob es schwer war, den Kopf oben zu behalten, als keiner mehr was von ihm wissen wollte. Anfangs hat Schöbel sogar mitgespielt. Er hat den Zeitungen traurige Geschichten vom Tiefpunkt seiner Karriere erzählt. Wie er mal beim Lamadeckenverkauf gesungen hat. Und wie er auf einen schrecklich gutriechenden Manager aus dem Westen hereinfiel. Und wie er dann auch noch diesen Plattenheinis aus Köln und Hamburg seinen Namen buchstabieren mußte. Eszehha-Ö- B-E-L.

Die erste Wut über die „Nichtachtung“, die ostdeutschen Künstlern wie ihm nach 1989 bei westlichen Plattenfirmen, bei Sendern und Magazinen entgegenschlug, hat er inzwischen runtergeschluckt. Jetzt kann er das einordnen: „Früher waren wir Exoten, heute sind wir Konkurrenten.“ Schöbel weiß, was man mit Konkurrenten macht. „Nur nicht hochkommen lassen.“ Das sei nun mal die Marktwirtschaft. „Und die haben wir ja nun jetzt.“

Er selbst ist nicht so. Nein. „War er nie“, sagt Aurora Lacasa, die Frau mit der Gänsehautstimme, mit der Schöbel seit zwanzig Jahren zusammenlebt. Als auch der letzte nebenberuflich tätige deutsch-demokratische Freizeitentertainer sich im „Volvo“ kutschieren ließ, fuhr Schöbel weiter „Wartburg“. Bis zum Ende der DDR lebte er im zehnten Stock eines Hochhauses in Köpenick und ging Samstagnachmittag in die Wuhlheide, Eisern Union anfeuern. Und immer hat er gelacht, immer war er lieb und freundlich. Nie wird diesem Mann der Kragen platzen. Neulich hat er seine Stasi- Akte gelesen. Und gelacht: „Meine Nachbarin hat denen immer gemeldet, wenn ich Asche auf der Treppe verschüttet habe.“

Ansonsten nur Gutes: „Eine Menge Leute haben sich vor mich gestellt, wenn ich mich danebenbenommen habe.“ So, als der pflegeleichte Frank, damals gerade Soldat bei der NVA („Erich-Weinert“-Chor), sich eines Tages weigerte, zum Ruhm der Partei ein Soldatenlied zu singen und dafür einige Tage in den Bau ging. Anschließend gab es keine Engagements mehr für ihn, seine Lieder verschwanden aus dem Radio, sein Gesicht vom Bildschirm. Schöbel, dem man getrost einen unkomplizierten Charakter nachsagen kann, hat sich nicht beklagt. Man müsse halt für alles bezahlen, „das ist doch in Ordnung so“.

„Als ich ihn kennenlernte, fand ich das schon ein bißchen verrückt“, gesteht Aurora Lacasa. „Wie kann jemand allen Leuten so offen gegenübertreten?“ Frank Schöbel, der im Dezember 53 Jahre alt geworden ist und wieder nicht gefeiert hat, konnte nie anders – auch wenn er es bisweilen will.

Der Sonnyboy des DDR-Schlagers galt früher als größtes Talent der Republik; schnell wurde er zum Alleinherrscher in der Hitparade. Nebenbei drehte er Filme, die allesamt zu Kassenknüllern wurden, mit „Wie ein Stern“ gelang ihm ein Hit sogar im Westen, er gastierte in China und Japan und mit seiner Sangespartnerin Chris Doerk schloß er schließlich, was man heute eine Traumehe nennen würde.

Zuviel des Guten, sagt er heute. Die Ehe ging kaputt, Schöbel durfte den gemeinsamen Sohn kaum sehen, und auch der Versuch, Alexander mit der Kinderplatte „Komm wir malen eine Sonne“ zurückzugewinnen, scheiterte. Es gab nur einen Kunstpreis dafür. Doch Schöbel glaubt an das Gute im Menschen. Bei den meisten, meint er, hatte er Recht damit. „Und bei den anderen sag' ich mir, Junge, denk nicht schlecht.“

Wenn ihn einer in der Kaufhalle erkennt, kriegt er also auch sein Autogramm. Wenn sie am Nebentisch in der Kneipe wetten, ob der Typ da drüben wirklich der echte Schöbel ist, gibt er es sofort zu. Und wenn eine Zeitung anklingelt, mit der er „schlechte Erfahrungen“ gemacht hat, nimmt er sich zwar jedesmal fest vor, bloß „Bitte, rufen Sie die Auskunft an“ zu näseln. Machen tut er's nie.

Er versucht, dankbar zu sein: Daß aus dem Westen nie Konzertangebote kamen, meint er, erspare ihm „einen Haufen Fahrerei“. Daß im Osten viele Konzerthallen von früher jetzt Teppichmärkte beherbergen, sorge dafür, „daß man endlich auch mal ein paar andere Hallen kennenlernt“.

Nur dieses „vor der Wende war er, und nach der Wende nicht, blabla“ ärgert ihn. Und er macht einen Versuch, wütend auszusehen. Nach der Wende hat Schöbel lange Zeit gar keine Musik gemacht. „Ich habe die Zeitung abbestellt, das Studio zugeschlossen und Holz gehackt.“ Draußen tobte die Geschichte, drinnen tobten die Selbstzweifel. „Haben wir etwa schlechte Lieder gemacht? Hätte ich etwa auch weglaufen sollen?“ Aurora, die schmale Frau, die Frank nur „sein Mädel“ nennt, habe in dieser Zeit, kokettiert er, oft mit ihm geschimpft. „Wie lange willst du dich denn noch beleidigen lassen.“ Aurora wollte weg. Nach Kanada, Spanien. Oder so.

Aber natürlich kann so einer wie Schöbel nicht gehen. Schon zu DDR-Zeiten kam das nicht in Frage, weil – und darunter macht er's nicht – „ein Pfarrer seine Gemeinde schließlich auch nicht sitzenläßt“. Frank Schöbel, den die Leute seiner Generation auch heute noch nur „Frankie-Boy“ nennen, als wäre die Zeit ungefähr zur 74er Fußball-WM stehengeblieben, braucht seinen Kiez, seine Leute und natürlich sein Publikum. Das ist ganz einfach.

In Spanien, sagt er, kenne er doch außer Auroras Verwandten keinen Menschen. Was soll er in Spanien? „Meine Leute hier haben mich nie hängenlassen.“ Immer sind Briefe gekommen, in denen sie ihm geschrieben haben: „Frank, laß dich nicht unterbuttern, Frankie, wir halten zu dir.“ Hunderte Briefe. Das verpflichtet. Schöbel, der zugibt, nie politisch gewesen zu sein, hat sich im 33. Jahr seiner Laufbahn eine neue Rolle gesucht, an die er glaubt: „Ich bin ein vorgeschobener Posten, wenn ich's schaffe, schaffe ich's ein bißchen auch für die.“

Sich selbst müßte er nichts mehr beweisen, sagt er. Mit seiner großen Liebe Aurora und den gemeinsamen Töchtern Odette und Dominique lebt Frank Schöbel seit mindestens 19 Jahren „an der oberen Grenze des Glücklichseins“. Zufrieden. Keine Wünsche. Nur ganz hinten im Kopf flackert er noch, der Traum vom Hit, der Traum von der Rückkehr ins große Rampenlicht.

Zuerst kam die Fortsetzung von „Weihnachten in Familie“, die sich mehr als 70.000mal verkaufte. Dann die Weihnachts-Tournee, die durchweg ausverkauft war. Und nun die erste richtige Platte seit fünf Jahren. Sie erscheint bei einer der ganz großen deutschen Plattenfirmen, Titel: „Jetzt oder nie“. Eine tiefere Bedeutung habe das eigentlich nicht, sagt Frank Schöbel. Und dann: „Jetzt muß ich nur noch einen Hit haben und bin sofort wieder da.“