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Schlammschlacht im Klärwerk

Am Klärschlamm scheiden sich die Geister: Für die einen ist er ein Schadstoff, andere halten ihn für einen verunreinigten Rohstoff  ■ Von Volker Wartmann

700.000 Kubikmeter industrielles und häusliches Abwasser aus Berlin und dem Umland werden täglich in den Berliner Klärwerken behandelt. Dabei fällt als unvermeidbares Restprodukt bei der Abwasserreinigung Klärschlamm an. Je Kubikmeter entstehen in den Klärwerken rund 16 Liter Schlamm mit 0,5 Kilogramm Trockenstoffanteil an. Diese Trockensubstanz besteht etwa jeweils zur Hälfte aus organischen und anorganischen Bestandteilen.

„Für Berlin bedeutet dies, daß täglich 11.000 Kubikmeter Rohschlamm mit einem Trockenstoffanteil von 340 Tonnen anfallen“, erläutert Günther Rudolf, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Berliner Wasser Betriebe (BWB), das Aufkommen des problematischen Stoffes in Berlin. An der Frage der vermeintlich sinnvollsten, fachgerechtesten Entsorgung beziehungsweise Verwertung des anfallenden Klärschlamms scheiden sich die Geister. So fragt der Arbeitskreis Umweltchemikalien/Toxikologie des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND): „Ist Klärschlamm nun ein Schadstoff mit einigen Wertstoffen oder ein wertvoller Rohstoff, der nur leider mit Schadstoffen verunreinigt ist?“

Zum einen ist Klärschlamm reich an Wertstoffen: Er enthält Phosphor, Stickstoff, Kalzium, Kalium, Magnesium und andere von der Landwirtschaft als Düngemittel geschätzte Elemente. Gleichzeitig sind in jedem Abwasser mehr oder minder hohe Anteile an schwer oder nicht abbaubaren Substanzen enthalten. Klärschlamm enthält neben den „normalen“ organischen und anorganischen Inhaltsstoffen einen Großteil der Produktpalette der chemischen und anderer Industrien. „Dazu gehören beispielsweise Schwermetalle, langlebige organische Schadstoffe wie die Chlorbenzole, einige Waschmittelinhaltsstoffe, Kunststoffweichmacher oder Komplexbildner. Substanzen, die nicht nur schwer abbaubar, sondern auch schlecht wasserlöslich sind, reichern sich besonders gut im Klärschlamm an; dazu kommen noch ihre Umwandlungsprodukte“, führt der BUND-Arbeitskreis in einem Informationspapier aus.

In der Bundesrepublik werden Klärschlämme hauptsächlich in drei verschiedenen Verfahren entsorgt beziehungsweise verwertet. „Etwa 60 Prozent werden deponiert, 25 bis 30 Prozent werden landwirtschaftlich verwertet, und 10 bis 15 Prozent werden verbrannt“, erläutert Rudolf Mach, Fachgebietsleiter des Bereichs Landwirtschaft beim Umweltbundesamt. „Gegen alle drei Verfahren werden kritische Stimmen erhoben. Die schärfste Auffassung herrscht gegenüber der Verbrennung. Jedoch müssen laut verschärfter gesetzlicher Verordnung seit drei Jahren die Schadstoffe weitestgehend herausgefiltert werden.“ So sei beispielsweise die Verordnung über den zulässigen Dioxinausstoß in Deutschland die schärfste in ganz Europa.

In Berlin stellt sich die Situation anders dar als im Bundesdurchschnitt. Hier wird etwa die Hälfte des anfallenden Klärschlamms verbrannt. In den Klärwerken in Marienfelde und Ruhleben werden die Rohschlämme in Zentrifugen entwässert und daraufhin verbrannt. Die anfallende Asche wird auf Deponien endgelagert. „Die Asche ist zwar ein mineralischer Rohstoff, kann aber nicht industriell verwertet werden“, so Rudolf. Die andere Hälfte wird in geschlossenen Faultürmen ausgefault und dann in abgedeckten oder unabgedeckten Erdbecken gelagert beziehungsweise zwischengelagert. Dieser ausgefaulte Schlamm wird beispielsweise zur Grubenabdeckung in der Lausitz verwendet. Des weiteren wird er auch zur Abdeckung von Deponien und zu gärtnerischen Zwecken genutzt. Im landwirtschaftlichen Bereich werden die Berliner Klärschlämme nicht mehr verwendet. „Die Schadstoffbelastung des Klärschlamms liegt zwar knapp unter den in der Klärschlammverordnung festgelegten Grenzwerten, jedoch sind die Klärschlämme in letzter Zeit in Verruf geraten, und das in vielen Fällen zu Recht“, erläutert Günther Rudolf.

Nach Rudolf Machs Auffassung ist die landwirtschaftliche Nutzung die natürlichste Form der Klärschlammverwertung. „Die landwirtschaftliche Nutzung wird kontrolliert. Das schreibt die Klärschlammverordnung vor. In 10 Jahren dürfen nicht mehr als 15 Tonnen Klärschlamm pro Hektar aufgebracht werden. Es gibt keine Nachweise, daß sachgemäß mit Klärschlamm gedüngte Pflanzen mehr Schadstoffe enthalten.“ Der Anwendungsbereich von Klärschlamm in der Landwirtschaft ist jedoch von vornherein durch die sogenannte Klärschlammverordnung gesetzlich eingeschränkt. So ist beispielsweise das Aufbringen von Klärschlamm auf Gemüse- und Obstanbauflächen ebenso wie auf Dauergrünland und forstwirtschaftlich genutzten Böden verboten.

Mach sieht die Anwendung von Klärschlamm im landwirtschaftlichen Bereich als rückläufig an: „Die Konkurrenz durch Biokompost nimmt zu. Zudem fördern Teile der Nahrungsmittelindustrie aus werbetaktischen Gründen das Negativimage der Klärschlammanwendung.“ Unter dem Druck der Lebensmittelindustrie lassen seinen Angaben zufolge immer mehr Landwirte von der Aufbringung von Klärschlamm ab: „Auch der Deutsche Bauernverband rät von der Klärschlammverwertung ab.“ Er weist jedoch darauf hin, daß das Kostenverhältnis zwischen Aufbringung und thermischer Verwertung eins zu zwei und mehr beträgt. „Insgesamt geht die Tendenz dahin, daß Klärschlämme nur noch abgelagert werden dürfen, wenn sie vorher thermisch behandelt wurden“, beschreibt der Mitarbeiter des Umweltbundesamtes den aktuellen Trend.

Für Berlin betrachten die BWB die Klärschlammproblematik als gelöst. Der Schlamm wird künftig im Sekundärrohstoff-Verwertungszentrum (SVZ) Schwarze Pumpe in der Lausitz südlich von Cottbus verwertet werden. Die SVZ ist eine hundertprozentige Tochter der BWB. Der Schlamm wird zukünftig in den Klärwerken entwässert, getrocknet und das Schlammgranulat im SVZ in Vergasungsanlagen verwertet. Aus dem Klärschlamm wird zusammen mit anderen Reststoffen wie zum Beispiel Altkunststoffen oder Schredderleichtgut, die vorerst noch mit 50 Prozent Braunkohle vergast werden, Synthesegas erzeugt. Dieses wird dann zur Herstellung von Methanol als Grundstoff für die chemische Industrie und zur Erzeugung von Elektroenergie genutzt. „Das Ganze ist ein sehr umweltschonendes Verfahren und gleichzeitig wirtschaftlich attraktiv“, so Günther Rudolf von den BWB.

Im kontrolliert biologischen Landbau ist die Verwertung von Klärschlämmen generell tabu. „Gemäß den Richtlinien der Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau, denen beispielsweise Demeter- und Biolandbetriebe angeschlossen sind, ist der Einsatz von Klärschlämmen verboten“, erläutert Jacqueline Jancke, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Domäne Dahlem. Die Domäne ist ein Biolandbetrieb und Teil der Stiftung Stadtmuseum Berlin, Abteilung Landwirtschaftsgeschichte. „Im ökologischen Landbau wird rein organisch gedüngt.“ Dabei gibt es zwei Wege. Zum einen die Gründüngung: Hierbei werden eigens dafür angebaute Pflanzen, das heißt Leguminosen wie beispielsweise Klee, zur Düngung untergepflügt. In Vieh haltenden Betrieben wird mit Festmist, einer Mischung aus Tierexkrementen und Stroh, gedüngt. „Im Ökolandbau geht ja nichts verloren. Unser anderes Verständnis von ökologischer Landwirtschaft schließt die Anwendung von Klärschlamm zur Düngung aus.“

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