Wand und Boden
: Lungen und Hirne als Ikonenkitsch aus Schokolade

■ Kunst in Berlin jetzt: Fritz Balthaus, Jean-Michel Othoniel, Birgit Brenner

Von Henry James gibt es eine kurze Geschichte über einen gescheiterten Künstler. Er ist Maler, schafft es aber nicht, sein Bild fertigzustellen. Nie ist er zufrieden, immer fehlt ihm eine Nuance, ein Schatten oder Lichtpunkt. Jeden Besucher vertröstet er auf ein andermal.

Am Ende dringt ein Bekannter in sein Heiligtum vor und findet die Leinwand – leer. Das ist das zentrale Problem der Malerei im 20. Jahrhundert: Soll man noch einmal abbilden, was schon da ist? Oder wie soll man abbilden, was nicht da ist?

Fritz Balthaus hat für diese schwierigen Fragen eine Lösung, bei der er nicht einmal Kompromisse wie das schwarze oder weiße Quadrat Malewitschs gelten lassen muß. Er bildet ab, daß nichts da ist, was sich abzubilden lohnt. Gern wird dieser Vorgang als selbstreferentiell beschrieben. Aber dieses Vertrauen ins Selbst greift zu kurz. Kein Bild ist auch kein Bild. Balthaus geht es indes um ein anderes Verhältnis: Seine 32 mit Transportsicherungsband bespannten Wechselrahmen sind, der Malerei ähnlich, eine Markierung des ästhetischen Feldes. Das Band ist dabei in konstruktiven Mustern über die Rahmen gezogen, ohne mit dem vermeintlichen Bildträger (der Leinwand) überhaupt in Berührung zu kommen. Im Gegenteil, die blauen Plastikstreifen sollen davor schützen, daß das Glas im Falle eines Bruchs das kostbare Gemälde freilegt. Mit der inhaltlichen Bestimmung macht ihre Funktion den Gegenstand gleichzeitig auch visuell kenntlich. Daß die Exponate so unscheinbar bloßgestellt werden, könnte man als Geistesblitz bezeichnen, ihre Präsentation im Mies-Van-der-Rohe- Haus, das in der Tradition des Bauhauses steht, als hohes Maß an Geistesgegenwart.

Bis 25. 2., Sa./So. 14–18, Di.–Do. 13–18 Uhr, Oberseestr. 60

Brandlöcher sind etwas häßliches, schlimmer noch als Motten. Während eine zerfressene Jacke Schlüsse auf den Verwahrlosungsgrad der Wohnung ziehen läßt, zeugen Brandspuren gar vom nachlässigen Umgang mit sich selbst. Meistens ist der Suff daran Schuld. Insofern ist das Manko durchaus Thema der Kunst, wo doch Sucht und Produktion sich oft bedingen. Der Franzose Jean-Michel Othoniel findet die symbolische Aufladung seiner Arbeiten eher in der Alchimie, wo Feuer und Schwefel das läuternde „Reinigen, Klären und Aufhellen der dunklen Stoffe und Zusammenhänge“ zeigen.

Ein quer durch die Galerie Arndt & Partner gespanntes Bettlaken ist „Glory Holes“ betitelt und trägt allerlei Brandlöcher als Zierde. Die Ränder wurden bunt mit Garn bestickt, ein Videoband dokumentiert die kommunikationstechnischen Vorteile einer solchen Beschädigung. Man kann durch die Löcher spähen, mit den Fingern im Leeren stochern oder sich von einem Helferlein Zigaretten anzünden lassen und den Rauch durch die Öffnung blasen. Was vorher Zeichen fürs soziale Abrutschen war, wird bei Othoniel zum Bezugspunkt.

Auch „The Wishing Wall“, eine monochrome Wand aus braunem Streichholzreibegrund, ist solchermaßen interaktiv gedacht. Für Besucher liegen Streichhölzer aus, mit denen sie an der Mauer zündeln können und einen Wunsch freihaben. Durch jede Reibung entsteht eine neue Nuance im Bild.

Bis 24. 2., Di.–Sa. 14–19 Uhr, Rosenthaler Straße 40/41

Der fröhliche Gemeinsinn ist Birgit Brenner fremd, statt dessen muß man sich in der Galerie Eigen+Art mit diversen Vernichtungs-Exerzitien begnügen. Wändeweise hat die 1964 in Ulm geborene Künstlerin Konzepte zusammengetragen, wie es sich aus der Welt stehlen läßt. Im hinteren Raum hängen Zettel voller Skizzen, auf denen Brenner ihre „Erfindung“ vorstellt: eine „Stahlpanzerplatte, die gegen jede feindliche Einwirkung Schutz bietet“. Höhe, Breite und Dicke sind variabel. Eigentlich ganz praktisch, ein umgemodelter Serra fürs Büro, denkt man. Gemeint ist jedoch bloß der schnelle Weg zum Suizid. Zwei Blatt weiter schauen unter der grauen Platte Füße und Hände hervor, dazu die Aufschrift: „tot“.

Nach dieser Vorgabe funktioniert die ganze Ausstellung. Kleine Lungen und Hirne als Ikonenkitsch aus Schokolade, ein Maßband mit morbider Aufschrift, eine Diashow über Neurosen und Symptome; zuletzt die Skizze in Holz gesägt. Die immer gleiche Pointe – zwischen Sein und Nichts liegt die lange Zeit des Unwohlseins. Viel Aufwand für eine nicht gerade neue Erkenntnis. Seltsamerweise wird die Monotonie über das Elend mit einem Katalog begleitet, in dem ältere und durchweg interessante Projekte von Brenner festgehalten sind: Ein Schrank mit Frischhalteboxen, in denen nachgebildete Innereien lagern, dient als Antwort auf die Frage, wie man sich einen organlosen Körper schafft (1994); eine Installation aus dem gleichen Jahr rechnet mit Personenwaagen das spezifische Gewicht weiblicher Körperteile gegeneinander auf. Hier stimmt auch der Satz von Louise Bourgeois aus dem Vorwort: „Mein Körper ist meine Skulptur“. Jetzt heißt die Einsicht, die Brenner als Sinnspruch in zartem Weiß auf eine Kerze drucken ließ, nur noch: „Alle Menschen müssen sterben und vielleicht auch ich.“ Das ist schade.

Bis 25. 2., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–14 Uhr; Auguststr. 26 Harald Fricke