piwik no script img

"Es macht glücklich"

■ Fleischmann, Berlins überzeugendste Metallwerker, über Umdenkprozesse, Klischees und die Stärke des Privaten

Die Rhythmusgruppe hat es schwer, zu Wort zu kommen, wenn Norbert Jackschenties, Sänger und Gitarrist von Fleischmann, erst mal ins Laufen kommt. Bassisten sind eh oft schweigsame Gesellen, und das ist bei Micha Hoffmann nicht anders. Und Schlagzeuger Martin Leeder schreibt zwar den Großteil der Texte, aber gehört sonst eher zu den Zurückhaltenden.

taz: Wie geht's euch so bei eurer neuen Plattenfirma Sony?

Norbert: Wir haben drei Platten bei Indie gemacht, haben unsere Erfahrungen gesammelt und wissen jetzt genug übers Geschäft. Wir fühlen uns nicht überrannt. Mit mehr Geld passiert einfach mehr: Wir konnten das erstemal länger ins Studio gehen, Promo- Aktionen, Video, Remixe. Und bei Sony habe ich das Gefühl, verstanden zu werden. Da wurde nichts ohne uns entschieden, und es gab sehr wenig Diskussionen. Die versuchen nicht, aus uns eine Band zu machen, die gar nicht existiert. Die machen aus uns, was wir wirklich sind.

Früher wart ihr immer zwei Wochen im Studio, diesmal vier. Was verändert sich da?

Norbert: Wir haben die Zeit gebraucht. Diesmal passiert viel mehr als vorher, allein was den Gesang betrifft. Früher habe ich zwei Tage auf jeden Song draufgebrüllt...

Micha: Draufgeröhrt.

Martin: Und der Produzent am Pult: Lauter, wilder!

Norbert: Diesmal haben wir mit Satzgesang gearbeitet, das erfordert viel mehr Zeit. Das ist keine Platte, die man live einspielen kann. Wir haben nicht gefaulenzt und großartig rumgetrickst.

Wenn man „Hunger“ hört, könnte man aber leicht zu dem Schluß kommen, ihr seid kommerzieller geworden?

Norbert: Im Gegenteil. Ich habe eher den Eindruck, daß Sony uns gar nicht als kommerzielle Band verkaufen will. Und die Veränderung war total wichtig. Ich habe nach „Treibhaus“ ein halbes Jahr keine Songs geschrieben, um mir klarzuwerden, was ich eigentlich will. Ich hatte einfach keine Lust mehr, die ganze Zeit nur rumzubrüllen. Ich wußte nicht mehr, was ich wollte. Aber Fleischmann ist eine Band, die immer durchhalten kann. Die letzten Platten waren eher Konzeptalben, teilweise fast mathematisch. Ich will nicht schlechtmachen, was vorher passiert ist, aber ich wollte es nicht noch mal machen. Diesmal habe ich beim Songschreiben nicht daran gedacht, in welcher Band ich bin und wie die Riffs sein müssen. Das ist keine Kehrtwendung, sondern eine Entwicklung. Deswegen wird es ja nicht was total anderes, du hast ja eh eine Stilistik und eine Art, Musik zu machen.

Liegt es vielleicht am Älterwerden und daß man nicht mehr so große Angst davor hat, sich preiszugeben?

Norbert: Das ist sicher ein Grund. Die Stärke, das Private zu offenbaren und sich nicht mehr hinter Klischees verstecken zu müssen. Man muß nicht mehr unbedingt den Harten rauskehren. Und wenn du kontinuierlich Musik machst, möchtest du dich ja auch entwickeln.

Martin: Wir haben einfach vorher nicht die Form gefunden, das auszudrücken. Nach den ersten beiden Platten waren wir selbst ziemlich angekotzt von den Reaktionen, die das zum Teil ausgelöst hat. Wir mußten uns nur noch über politische Sachen unterhalten. Dabei wollen wir eine viel größere Palette von Gefühlen abdecken.

Habt ihr euren dezidiert politischen Standpunkt aufgegeben?

Norbert: Nein, nicht aufgegeben. Politisch ist man immer, sobald man sprechen, gucken, hören kann. Keiner von uns ist in einer Partei oder engagiert sich in irgendwelchen Vereinen, wir haben die Band, und das ist unser Mittel. Und daß auf der neuen Platte keine politischen Texte drauf sind, hat den einfachen Grund, daß es unsere persönlichste Platte ist. Deswegen kann man es vielleicht auch wieder ein Konzeptalbum nennen. Sobald du richtig persönlich wirst, geht es an die Substanz. Das hat auch auf die Zuhörer eine extreme Wirkung.

Aber eure letzte Platte, „Fleischwolf“, war auf ihre Art – was Norbert „mathematisch“ genannt hat – perfekt. Ist es nicht tragisch, so eine Unverwechselbarkeit abzulegen?

Norbert: Das ist nicht tragisch. Für mich ist es eher eine totale Herausforderung. Und es wird sich rentieren, denn es macht uns glücklich.

Micha: Bewegung ist alles.

Norbert: Sicher wird es Leute geben, die sagen: Die sind wohl verrückt. Aber, um ehrlich zu sein, ich bin ganz froh, ein paar von den Kandidaten los zu sein. Das ist so engstirnig, die wollen immer dasselbe hören.

Haben sich eure Hörgewohnheiten geändert?

Norbert: Martin hört schon immer Klassik, seit ich ihn kenne.

Immer noch Schönberg?

Martin: Das hat sich nicht geändert, aber das hat ja nichts damit zu tun, was ich in der Band mache. Im Moment höre ich auch nicht Schönberg, sondern eher Brahms, Beethoven und Klaviersonaten. Ich habe für mich persönlich die Schönheit der Musik, der Klänge wiederentdeckt. Die klassische harmonische Form. Beim Musikmachen geht es auch darum, sich in Gebiete vorzuwagen, in denen man sich nicht sicher fühlt, das ist eine Herausforderung. Das ist was Urmäßiges, du wirst getrieben. Wir wollen die Musik aus Liebe machen, nicht aus irgendeinem Kalkül heraus. Nicht nur in Bewegung bleiben, um in Bewegung zu bleiben, sondern auch um den Menschen, die uns hören, eine nachvollziehbare Entwicklung zu bieten.

Kann man die alten Texte als Karikatur verstehen?

Norbert: Ein bißchen ist es so gemeint, aber Karikatur nicht, das hört sich immer so lustig an. Eher Übertreibung, so wie die Musik ja eigentlich auch Übertreibung war. Wir sind nicht tätowiert, wir haben keine langen Haare und keine dicken Oberarme, wir wurden diesem Klischee ja nie gerecht. Für uns waren die Musik und die Texte künstlerische Form.

Dann seid ihr jetzt bei euch angekommen?

Norbert: Ja, kann man vielleicht so sagen. „Endlich allein, ich bin bei mir.“ [Zitat von „Hunger“] Zu sich selber kommen ist gar nicht so schlecht. Interview: Thomas Winkler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen