Village Voice
: Platz für ein „Ich“

■ Auf „Hunger“ entdecken Fleischmann das Menschsein

Noch immer bevorzugen Fleischmann einzelne, verlorene Wörter, wenn es um die Titelgebung ihrer Songs geht. Ansonsten ist nur noch wenig, wie es einmal war. Dabei schien es so, als hätten die drei, die schon vor dem Mauerfall getrennt in den Westen emigriert waren, um sich dort wiederzufinden und ihr Metal-Geschäft zu eröffnen, auf ihrer letzten, dritten Platte die letztgültige Ausformung ihres Ansatzes von Metal gefunden. Auf „Das Treibhaus“ wurden Gitarrenriffs und andere klassische Metal-Zutaten auf Prototypen reduziert und mit herausgebellten Texten versehen, von denen nur Schlagwörter hängenblieben. Das Ergebnis war Metal in seiner reinsten, klarsten Form. Von dort aus gab es kein Zurück, aber auch kein Weiter.

Also verabschiedeten sich Fleischmann vom Konzept eines sich durch Intelligenz selbst aushebelnden Metal und entdeckten sich selbst. Jetzt heißen die Songs „Allein“, „Frei“ oder „Ohne Traurigkeit“ und nicht mehr „Insekt“, „Krieg“ oder „Dreck“. Und vor allem nimmt in den Texten, die hauptsächlich Schlagzeuger Martin Leeder schreibt, bevor er sie mit Sänger Norbert Jackschenties überarbeitet, das Wörtchen „ich“ einen ungeahnten Raum ein. „Ich treibe ziellos ohne Sinn / Ich bin hungrig immerhin“, heißt es im Titelsong, und dieses unsichere Suchen schimmert aus allen Worten auf „Hunger“.

Hin und wieder taucht zwar noch das Sloganhafte der vergangenen Fleischmann auf oder herrscht Jackschenties mit bösartigem Jungmännercharme etwas von „die Gewalt ist komprimiert“. Meist aber führt diesmal der Weg vom Privaten ins Politische. So läßt sich „Gefängnis“, oberflächlich Gedanken an ihre alte Heimat DDR, ebensogut als Liebeslied lesen. Vor allem aber: „Das sind Geschichten aus der Fremde, kalten Räumen, dunklen Träumen.“ Doch in den Texten beginnt nur, was sich in der Musik fortsetzt. War früher in Fleischmann-Stücken, vor allem in ihren Instrumentals, von denen sich auf „Hunger“ nur noch ein einziges, ziemlich kurzes findet, manchmal mehr Raum als Ton zu finden, ließen sie sich damals viel Zeit zu entdecken, was ein Gitarrenriff alles so hergeben könnte, sind die Songs diesmal auskomponiert. Es gibt brachiale Klopper wie „Crash“, und direkt davor sogar ein Duett namens „Allein“, auf dem eine Freundin der Band zusammen mit Jackschenties – unvorstellbar, aber man muß es so sagen – romantisch wird. Oder die gemütlich dahinfließende Besinnlichkeit auf „Meer“, die im Refrain zu einer breiten, harten, aber gemütlichen Soundwand anschwillt, an der man sich klasse anlehnen kann. Und dann kommt in diesem Song doch tatsächlich noch eine Trompete angeschlichen. Auf der Single „Ohne Traurigkeit“ wagen die ehemaligen Puristen gar ein recht konventionelles Gitarrensolo.

Früher waren Fleischmann einmalig in ihrer konzeptionellen Geschlossenheit, die keine Kompromisse kannte. Die Erfahrungen, die sie in der selbstgewählten Beschränkung auf das allein zählende Gefühl Haß gesammelt haben, geben ihnen die Möglichkeit, die neugewonnene emotionale Spannbreite in fast beängstigender Klarheit in Worte und Klänge zu fassen. Damit mögen sie nicht mehr so unverwechselbar sein wie früher, zu den allerbesten, die momentan im Metal rühren, gehören sie trotzdem ganz locker immer noch. Thomas Winkler

Fleischmann: „Hunger“, Dragnet/Sony

Konzert am 17. 3. im Loft