Ernstzunehmende Lächerlichkeit

„Wetten, daß“ hat unsere Vorstellung von guter Fernsehunterhaltung revolutioniert. Ein neues Buch zur alten Show dokumentiert nun den gesammelten Wettirrsinn der letzten 15 Jahre  ■ Von Klaudia Brunst

„Es war das schlimmste, was ich je gesehen habe. Ich bin nicht einmal zu der berühmten Feier hinterher gegangen, weil ich dachte, das ist der größte Flop, den wir je gelandet haben“, erinnert sich Sascha Arnz, „Wetten, daß“-Regisseur der ersten Stunde, an die Premierenshow am 14. 2. 1981. Eine Stunde hatte Frank Elstner seine Sendezeit überzogen: Allein sechzig Minuten hatte er dafür gebraucht, die – damals noch sehr komplizierten – Spielregeln seiner Show zu erklären, bevor überhaupt die erste Wette geschlossen werden konnte. Trotz aller konzeptionellen Kinderkrankheiten waren die Kritiken am nächsten Tag durchaus positiv. Die kritische Unterhaltungsöffentlichkeit hatte zwischen all den Hängern und Pannen erkannt, daß hier jemand eine neue Spielidee erfunden hatte.

Man muß sich das einmal klarmachen: Als „Wetten, daß“ 1981 auf Sendung ging, hatte Robert Lembkes Ratespiel „Was bin ich“ immerhin noch acht Jahre vor sich; Hans „Dalli-Dalli“ Rosenthal rief noch „Das ist Spitze!“; Hans-Joachim Kuhlenkampff hatte sich vor zwei Jahren erneut dazu breitschlagen lassen, das Eurovisionsquiz „Einer wird gewinnnen“ wiederaufleben zu lassen, und Wim Thoelkes „Großer Preis“ schwebte gerade auf dem Höhepunkt seiner Beliebtheit.

Wer bis zu diesem Zeitpunkt als Zuschauer in einer der bundesdeutschen Spielshows auftreten wollte, mußte vor allem über ein beeindruckendes Fachwissen verfügen. Frank Elstners neue Spielidee fußte nun auf der Überlegung, daß in der televisonären Unterhaltung nicht mehr Wissen Macht ist, sondern Kreativität Trumpf: „Das Fernsehen kann endlich einmal zeigen, was es kann“, schrieb er in seinem ersten handschriftlichen Konzept zu „Wetten, daß“, „die immense Creativität, die in der großen anonymen Masse der Zuschauer steckt, wird geweckt. F. E. nimmt Herausforderungen an. Die komischsten Geschichten sind auf einmal realisierbar. Denn: die Verantwortung trägt ein Zuschauer.“

Im Eichborn-Verlag ist dieser Tage „Das offizielle ,Wetten, daß‘- Buch“ erschienen. Im Vorfeld des fünzehnjährigen Jubiläums der Reihe dokumentiert der Band alle je eingespielten Wetten. Und wenn auch das Konzept des Buches, das recht lieblos Sendung für Sendung stichpunktartig notiert, was einmal Spielshowgeschichte schrieb, nicht gerade gut lesbar daherkommt, zeigen die Auflistungen doch recht eindrucksvoll, wieviel Unsinn in der deutschen Fernsehunterhaltung doch noch einen Sinn macht. Schon in der Premierensendung präsentierte Elstner den Klassiker der Show: Hans Oßner wettete, daß er eine Wärmflasche aufblasen könne, bis sie platzt. Und die Flasche platzte tatsächlich. Viele ähnliche Aufblaswetten sollten folgen – bis Roger Moser und Daniel Rohner am 13. 5. 1989 schließlich einen Lufballon zum Platzen brachten, der am Ende eines 300 Meter langen Feuerwehrschlauchs hing.

Die größten Erfolge erzielten Kandidaten, die außergewöhnliche Geschicklichkeitswetten präsentierten: Paul Rommerskirchen fuhr mit dem Hinterrad seines doppelreifigen Lkws über einen Parcours, ohne ein rohes Hühnerei dazwischen zu zerquetschen, und Rudolf Künzler vollbrachte das nie vergessene Wunder, einen Lkw auf vier Gläser zu stellen.

Die Helden dieser Wetten sind allesamt vergessen. Die von ihnen vollführten Kunststücke jedoch überdauerten die Zeit. Das Fernsehen machte den Unsinn mit „Wetten, daß“ salonfähig. Noch heute hält die Sendung die Rekorde der Jahreseinschaltquoten. „Wetten, daß“ ist ein mit seinen völlig unnützen Rekordversuchen zu einem der wenigen Medienereignisse geworden, die uns das Fernsehen noch zu bieten hat.

Dabei kann man in dieser Show nichts Großartiges gewinnen, außer den vergänglichen öffentlichen Ruhm. Das Geniale an der Idee ist tatsächlich der Trick, den Zuschauern die Bürden der „Unterhaltungs-Verantwortung“ hier selbst aufzusatteln. Keine Wette, die zu lächerlich ist, als daß sie die anonymen Helden einer Stunde nicht groß machen würde. Selbst als der Titanic-Redakteur Bernd Fritz am 8. 9. 1988 die Sendung der Lächerlichkeit preisgab (er hatte behauptet, Buntstifte an ihrem Geschmack zu erkennen, in Wahrheit aber nur durch die nicht wirklich blinde Brille geschielt), tat das der Show keinen Abbruch. Denn was Fritz da enthüllte – daß es sich bei den Telespielen nicht unbedingt um seriöse Wettkämpfe handelte – ist für das Gelingen großer Fernsehunterhaltung gar nicht wichtig. Bedeutsam ist allein die Spannung, ob der in das Rampenlicht der Öffentlichkeit getretene Zuschauer seine persönliche Bestleistung einlösen kann oder nicht. Wie er das macht – mit Schummeleien oder harter Arbeit – interessiert auf der Bühne der Television nicht.

Denn er vollführt – und das ist wiederum sehr bedeutsam – sowieso nur nicht verwertbare Talente: Was hilft es Gunnar Mügge, daß er alle einheimischen Frösche und Lurche an ihrem Lockruf erkennen kann? Was fängt Klaus Hirsch damit an, daß er mit verbundenen Aucgen aus 30 Mädchenrücken denjenigen wiedererkennt, den er vorher massiert hat?

„Wetten, daß“ hat unsere Vorstellung von guter Fernsehunterhaltung verändert, indem die Sendung die Lächerlichkeit zu einem ernstzunehmenden Gegenstand erhob. Praktisch alle erfolgreichen Wissensquizshows sind vom Bildschirm verschwunden: Die Klassiker der 50er, 60er und 70er „Alles oder nichts“, „EWG“ oder „Der Große Preis“ haben keine Nachfolger mehr hervorgebracht. Dort, wo sich Fernsehzuschauer in den Frühzeiten der Fernsehgeschichte Ruhm erwerben konnten, weil sie mehr wußten als ihre Konkurrenten, dominiert heute Show und Klamauk. Der kleine „Wetten, daß“-Held wird durch die Teilnahme prominenter Showgrößen geadelt, die sich aus dem Olymp der öffentlichen Bewunderung herabbegeben und sich Gedanken darüber machen, ob es Johann Schneider gelingen könnte, in einer Minute auf zwei rohen Eiern sechzig Liegestützen zu machen. Das Fernsehen, soviel hat „Wetten, daß“ bewiesen, macht die großen Tiere klein und die kleinen Leute groß.

Wie weit diese Umkehrung der Machtverhältnisse gehen kann, zeigte sich im Januar diesen Jahres: Während sich der Rentner Erich Schwarz daran abmühte, in dreieinhalb Minuten hundertmal mit den Füßen die Oberkante einer 2,05 hohen Tür zu berühren, wurde der israelische Ministerpräsident Rabin Opfer eines Attentats. Weder die Wette noch die Sendung wurde wegen dieser Meldung unterbrochen. Das ZDF entschied sich, seine Zuschauer lediglich mittels einer Einblendung über das Ereignis zu informieren. Rabin erlag wenig später den Folgen des Attentats. „Wetten, daß“ wird im März seine hundertste Sendung zelebrieren. Und ein Tod dieser Spielidee ist noch lange nicht in Sicht.

Mattias Bischoff: „Das offizielle ,Wetten, daß‘-Buch“. Eichborn- Verlag, 19,80 DM