Angst vor dem Abschluß

Immer mehr Initiativen an den Universitäten kümmern sich um „die Zeit danach“: Fehlende Berufserfahrung ist eines der Hauptprobleme  ■ Von Volker Wartmann

Nach dem Abschluß ist es wie vor dem Abschluß: Frank Brummundt verdient seine Brötchen weiterhin auf die gleiche Art und Weise wie schon während des Studiums. „Ich fahre erst mal noch ein paar Monate Taxi, und dann urlaube ich in Mexiko. Alles andere wird sich danach ergeben“, erklärt der inzwischen diplomierte Politologe. Vor dem Hintergrund zunehmend drohender Arbeitslosigkeit sehen viele Akademiker und solche, die es werden wollen, ihre Situation nicht dermaßen gelassen.

„Die Zahl derer, die mit Ängsten bezüglich ihrer beruflichen Zukunft zu uns kommen, hat in den letzten Jahren stetig zugenommen“, erläutert Psychologe Roland Hahne die aktuelle Entwicklung. „Mit Abschluß des Studiums beginnt ein qualitativ neuer Lebensabschnitt, der zunehmend mehr Ängste macht“, ergänzt seine Kollegin bei der Psychologisch-Psychotherapeutischen Beratungsstelle des Studentenwerks Berlin, Rosita Lohmannn. Studierenden mit solchen und anderen psychischen Problemen bietet die universitäre Institution Hilfe an.

„Die Institution Uni hat doch folgendes Selbstverständnis: Wir sind für die Ausbildung zuständig, danach müssen die Absolventen selber zusehen, wie es weitergeht“, so Peter Grottian, Professor am Fachbereich Politische Wissenschaft der FU Berlin. Die Berufseinfädelung von Absolventen – vor allen Dingen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften – verläuft seiner Meinung nach häufig sehr „schleppend, angstvoll und mit großen Unsicherheiten“. Daher fordert er von den verschiedenen Fachbereichen mehr Initiativen, „um die Brücke in die Berufspraxis begehbarer zu machen“.

Akademiker: Per Katalog zu bestellen

Wegen der schlechter werdenden Berufsaussichten für Akademiker ist an der Uni Kaiserslautern Anfang der 90er Jahre auf studentische Initiative hin die Arbeitsgemeinschaft „Curriculum Vitae“ ins Leben gerufen worden. Seit 1992 gibt sie einen Katalog heraus, in dem sich baldige AbsolventInnen verschiedener Fachbereiche mit ihrem Lebenslauf und ihren bisher erworbenen Qualifikationen vorstellen. Dieser Katalog wird an interessierte Unternehmen verkauft, die sich ihre potentiellen künftigen MitarbeiterInnen mit dem gewünschten Profil heraussuchen können: Akademiker per Katalog.

Der Service wurde inzwischen weit über Kaiserslautern hinaus ausgeweitet. Infomaterial über das Projekt wird an alle Hochschulen im Bundesgebiet verschickt. „In unserem diesjährigen Katalog stellen sich ungefähr 650 künftige Absolventen von 87 Hochschulen aus 27 Fachbereichen vor“, so AG- Leiter Günter Kryczum. „Wir schreiben etwa 20.000 Unternehmen bundesweit an, ob sie Interesse an dem Katalog haben.“ Von dem Katalog werden jeweils „mehrere tausend“ aufgelegt. Er ist inzwischen dreieinhalb Zentimeter dick, 800 Seiten stark und kostet 250 Mark. Nach Angaben Kryczuns stößt er bei allen Seiten auf große Akzeptanz. Seit Ende 1995 bietet „Curriculum Vitae“ seinen Service sogar im „Netz“ an.

„Angesichts der schwierigeren Arbeitsmarktsituation entstehen in letzter Zeit bundesweit immer mehr Uni-Initiativen mit der Zielsetzung, Theorie und Praxis schon während des Studiums enger zu verknüpfen“, berichtet Dieter Grühn, Mitarbeiter der zentralen Universitätsverwaltung und Leiter des „Projekts pro Lehre“ an der FU Berlin, „besonders in Studiengängen wie Geistes- und Sozialwissenschaften, die kein klares Berufsbild haben.“

Die erste Initiative wurde nach Grühns Kenntnis bereits vor über zehn Jahren in München ins Leben gerufen. „Das Problem ist doch oft, daß die Studenten meist nicht wissen, was die Unternehmen wollen, und umgekehrt die Unternehmen gar nicht wissen, was die Studenten können.“ Zur Milderung dieses Dilemmas verfolgen die Initiativen hauptsächlich folgende Aufgabenschwerpunkte:

g Organisation von Praktika

g Trainings in Rhetorik, Verhandlungsführung, Entscheidungsfindung

g Koordination und Anregung von Zusatzqualifizierung in Form von Lehrveranstaltungen.

Viele dieser Uni-Initiativen arbeiten isoliert, wurschteln allein vor sich hin und verlaufen oft nach kurzer Zeit wieder im Sand. Im November 1995 und in dieser Woche fanden zentrale Zusammenkünfte in den Universitäten Bielefeld und Düsseldorf statt, um die bundesweite Vernetzung und Kooperation der Praxisinitiativen voranzutreiben.

Ein weiteres Hauptaugenmerk bei diesen zentralen Treffen lag in dem Bestreben, die praxisbezogene Projektarbeit auf die natur- und ingenieurwissenschaftlichen Bereiche auszuweiten, da der Arbeitsmarkt für AbsolventInnen auch dieser Fächer zusehends schwieriger wird.

Eine Initiative hat sich inzwischen in Köln fest etabliert: Dort fand im Herbst 1995 bereits zum 7. Mal der sogenannte Absolventenkongreß statt. Fortgeschrittene Studierende aus dem gesamten Bundesgebiet haben dort die Möglichkeit, mit mehr als 200 Ausstellern, das heißt potentiellen Arbeitgebern, erste Kontakte zu knüpfen und sich in über 160 Seminaren und Vorträgen mit Informationen und Tips zu versorgen.

„An einigen Unis, wie beispielsweise in Tübingen, haben sich schon seit geraumer Zeit kontinuierlich stattfindende Gesprächskreise zwischen Universität und Arbeitgebern etabliert“, so Werner Becker, Mitarbeiter der Hochschulrektorenkonferenz, dem Zusammenschluß der deutschen Hochschulen und Fachhochschulen in Bonn.

Spannung von Theorie und Praxis erhalten

Im großen und ganzen sind die Bezüge seitens der Universität „zur Praxis jedoch sehr unterentwickelt“, lautet Grottians Gesamteinschätzung der Situation. Die Herstellung solcher Beziehungen erfordere viel Arbeit. „Das wissen die Hochschullehrer. Darum lassen sie es lieber.“ Weiterhelfen könnten sie oftmals ohnehin nicht. „Ein Großteil der Professoren weiß von den Berufsfeldern in seiner Disziplin nur sehr wenig.“ Trotz des Mankos des fehlenden Praxisbezuges in vielen Studiengängen weist Grottian vehement darauf hin, „daß das Spannungsverhältnis zwischen Theorie und Praxis immer bewußt aufrecht erhalten werden muß“. Die universitäre Ausbildung müsse sich mit der Berufspraxis reiben. Er warnt: „Ohne das Spannungsverhältnis zwischen Theorie und Praxis gibt es keine gesellschaftliche Weiterentwicklung!“