Skepsis vor der Wahl

Heute bestimmen die Palästinenser ihr Parlament. Die Opposition ruft zum Boykott auf  ■ Von Karim El-Gawhary

Wenn heute die PalästinenserInnen im Gazastreifen, der Westbank und Ost-Jerusalem zum ersten Mal in ihrer Geschichte zu den Wahlurnen schreiten, dann gelten bereits jetzt zwei Dinge als sicher: PLO-Chef Jassir Arafat wird der neue „Präsident“ der palästinensischen autonomen Gebiete, und seine Organisation – Fatah – wird mit Abstand die meisten der 88 Sitze des zu wählenden Legislativ-Rats erhalten.

Der größte Teil der linken und islamistischen Opposition hatte sich bereits vor den Wahlen ausgeklinkt: aus Protest gegen die beschränkten Befugnisse des Parlaments und den von Arafat ausgehandelten Bedingungen rund um den Friedensprozeß von Oslo. Über eine Million PalästinenserInnen haben sich dennoch in die Wählerlisten eingeschrieben. Die Wahlbeteiligung dürfte für Arafat zur Nagelprobe für die künftige Legimität seiner Verhandlungen werden.

Vor allem in Ost-Jerusalem und Hebron herrscht eine weitverbreitete Skepsis gegenüber den Wahlen. Der Status beider Orte ist noch ungeklärt, und damit liegen sie beide weiterhin unter direkter israelischer Kontrolle. „Die Menschen sind enttäuscht, daß die palästinensische Regierung den Wahlen zu einer Zeit zugestimmt hat, in der Hebron noch vollkommen von den Israelis kontrolliert wird und 250 Siedler mitten in der Altstadt leben“, beschreibt Khalid Amayreh, ein örtlicher Journalist, die Stimmung in Hebron.

Ähnlich scheint die Gemütslager der Bewohner Ost-Jerusalems. Die dortigen 52 Kandidaten, die für die sieben Jerusalemer Sitze antreten, trafen auf ihren Wahlveranstaltungen zu oft auf ein äußerst skeptisches Publikum. „Du sagst, wir sollen realistisch sein und begreifen, daß wir bei den Verhandlungen mit den Israelis die schwächere Position haben. Wozu sollen wir dann überhaupt dieses Parlament wählen?“ wurde Rana Naschaschibi, eine der drei Kandidatinnen in Jerusalem, in einer ihrer Veranstaltungen kritisch gefragt.

Die Angst vor Übergriffen der Siedler dürfte ein zusätzlicher Faktor bei der Wahlbeteiligung sein. In Hebron und Jerusalem haben rechte israelische Gruppen zu Demonstrationen aufgerufen. Besonders die Ost-Jerusalemer Postämter, in denen 4.000 Palästinenser ihre Stimme abgeben sollen, könnten sich als Orte der Konfrontation erweisen. Die israelische Regierung hat die Anweisung erlassen, daß trotz der Wahlen das Leben im annektierten Jerusalem seinen normalen Gang gehen soll. Die Postämter bleiben heute für den Publikumsverkehr geöffnet.

Trotz allem lief die Mobilisierung der WählerInnen auf vollen Touren. Selbst in Hebron sind die Wände vollgepflastert mit den Plakaten der über 70 Kandidaten des Bezirkes. Autos mit Lautsprechern, die die Qualitäten dieses oder jenes Kandidaten loben, kurvten unentwegt durch die Stadt. In Dutzenden von Wahlveranstaltungen stellten die Kandidaten ihr Programm vor.

George Hassboun, einer der Kandidaten im Wahlkreis Bethlehem, weist darauf hin, daß die Wähler vor allem daran interessiert seien, was ein Kandidat während des palästinensischen Aufstands gemacht habe. Dann fragten die Leute nach seiner Familie. Je einflußreicher der Clan, desto größer seien seine Chancen, so Hassboun. „Am Ende steht das politische Programm, das sich aufgrund der Abwesenheit der Opposition meist ohnehin in nichts von den anderen Kandidaten unterscheidet.“