■ Ökolumne
: Der Kuschelbauer Von Manfred Kriener

Die Mörder warteten im flämischen Wechelderzande vor der Haustüre. Tierarzt Karel van Noppen wurde aus seinem Auto gezerrt, die Pistole an seinen Kopf gehalten und abgedrückt. Belgische Hormondealer und Fleischbarone hatten den einsatzfreudigsten der 16 Veterinärinspektoren des Landes, besonders aktiv gegen den illegalen Arzneimitteleinsatz in der Massentierhaltung, von professionellen Killern hinrichten lassen. Bei anderen Hormongegnern brannte die Garage, bereicherten durch die Wohnzimmerscheibe fliegende Wackersteine den Fernsehabend. Die Presse spricht von einer Hormonmafia.

Zehn Monate später präsentieren sich „unsere belgischen Freunde“ auf der Grünen Woche in Berlin. Brüsseler Starkbier, Wurst und Fleisch, flämische Folklore und ein Lächeln.

Silbernitratlösung bringt es an den Tag: Mit der Chemikalie kann nachgewiesen werden, ob Eier aus Freilandhaltung tatsächlich von Frischlufthühnern stammen. Statt teurer Chemie genügt aber auch das kleine Einmaleins: In Deutschland, Frankreich, Holland und Belgien gibt es 8 Millionen Freilandhühner, aber täglich 30 Millionen verkaufte Freilandeier. Jedes dieser hochpotenten Hühner müßte täglich also vier Eier legen! Die Presse spricht von der Eiermafia.

Ei und Huhn liegen auf der Grünen Woche weiß und unschuldig im Nistkasten. Schon die Frage, wer zuerst da war, wäre ungezogen und störte die Idylle.

Über eine Million Schweine sind in Deutschland beim letzten Ausbruch der Schweinepest getötet worden. Sie wurden zu Eiweißmehl gehäckselt und an ihre Artgenossen verfüttert. Die sind seit Jahren chronisch herzkrank. Zuviel Muskelmasse ist ihnen angezüchtet worden. Das Herz ist nicht mitgewachsen und kann den Kotelettberg nicht mehr versorgen. Im letzten Jahr starben mehr als 300.000 deutsche Schweine beim Transport ins Schlachthaus. Ein Gutteil wurde trotzdem verwurstet. Richtig: Schweinemafia!

Jetzt ist das Borstenvieh wieder auferstanden, liegt in Halle 21 der Grünen Woche im knallgelben, frischen Stroh und grunzt fit und friedlich den Berliner Besuchern entgegen. Und die kommen in Scharen.

Dabei ist die Landwirtschaftsschau nicht nur Freßmesse und rotkreuzüberwachtes Billigbesäufnis. Sie ist zugleich der letzte Hort, wo landwirtschaftliche Romantik mit modernster Agro-High-Tech versöhnt wird. Unverfälschtes computergesteuertes Landleben, glückliche Tiere aus dem Embryonentransfer, gesunde Lebensmittel frisch poliert aus dem Antioxidantien- Bad – hier kann es besichtigt werden. Und spätestens wenn der Bulle in Halle 19 unter Gekreische auf die Kuhattrappe steigt und angefeuert von umstehenden Herren großgenital sein Vererbungsgut spendiert, lachen Bauern, Besucher und Aussteller so herzlich miteinander, daß die Bratwurstbuden wackeln.

Wir dürfen sicher sein: Je bestialischer die landwirtschaftliche Industriemaschine Bauer und Vieh in den Griff nimmt, desto idyllischer kuscheln sich die Tiere auf der Grünen Woche. Hygienisch ist alles einwandfrei: Klimaanlagen und ständiges Ausmisten beseitigen prompt Besuchers Ekel vor der Natur. So können die Massen ungestört das Abziehbild der Landwirtschaft besichtigen – ein einziger dampfender warmer Kuhstall, ganz ohne Scheiße.

Der Bauer romantischer Sämann, billiger Nahrungsmittelproduzent – der Milchpreis fiel von 70 Pfennig im Jahr 1990 auf 57 Pfennig 1994 – und emsiger Landschaftspfleger, der die Natur in einem optimal konsumierbaren Zustand zu halten hat. Allzu laute Kuhglocken in direkter Nähe von Ferienpensionen sind allerdings störend und gefährden den nachbarschaftlichen Frieden, entschied das Amtsgericht Sonthofen.

Das romantische Bauernbild hindert indes niemanden, an den agrokritischen Ständen seine Unterschrift gegen die „Auswüchse“ der Landwirtschaft zu leisten. Selbstverständlich lehnen wir den dummen Bauern, den Giftspritzer und Subventionserschleicher, den Hormonmißbraucher und Tierquäler ab. Wir wollen ganz einfach, daß er überall so schön ist wie auf der Grünen Woche. „Elfriede, laß uns mal nach den Schäfchen sehen.“