„Ich will diesen Staat nicht“

■ Michael Bouteiller, SPD-Bürgermeister von Lübeck, fordert nach der Brandkatastrophe das Ende der Isolation: AusländerInnen sollten in Wohnungen statt in Asylbewerberheimen untergebracht werden

taz: Haben Sie heute nacht überhaupt geschlafen, Herr Bouteiller?

Michael Bouteiller: Ja und nein, ich konnte schlecht schlafen.

Die persönliche Betroffenheit sitzt tief?

Ich war um vier Uhr dreißig an der Brandstelle und habe die Schreie miterlebt und mit Angehörigen der Opfer gesprochen. Die weinten und schrien, und ich habe nichts anderes machen können. Das geht durch und durch, und das endet nicht, das geht den ganzen Tag. Sie sehen Frauen, die an der Brandstelle vorbeigehen und verzweifelt sind. Die Frauen sind aus dem Libanon oder Nigeria und können ihrem Schmerz ganz anders Ausdruck geben, und Sie können einfach nur mitweinen. Das sitzt sehr dicht, das geht unter die Haut, und ich glaube, das geht sehr vielen Lübeckern so.

Die Lübecker haben ihr Mitgefühl gezeigt und sind auf die Straße gegangen.

Es waren zwischen ein- und zweitausend. Viele fragen sich, warum ausgerechnet Lübeck und was können wir tun. Die Leute sind es leid, und sie wollen es ändern. Doch sie sehen keine Möglichkeit. Deshalb sind wir im Rathaus zusammengekommen, deutsche und ausländische Mitbürger, um zu schauen, was wir tun können.

Sie haben gefordert, daß ausländische Mitbürger, Asylsuchende mit Deutschen zusammen untergebracht werden sollten.

Das ist das eine. Ich halte es für unmöglich, Leute in isolierten Situationen wie in diesem Haus in der Neuen Hafenstraße unterzubringen – ein Wohnhaus allein in einem Gewerbegebiet. So was muß beendet werden.

Wie wollen Sie das machen?

Wir haben sehr viele Neubauten. Hier sind einfach die Baugesellschaften gefragt. Wir werden versuchen, die Schwarzafrikaner in ganz normalen Wohnungen aufzunehmen. Schwierig ist das, aber dennoch gibt es Angebote aus der Bevölkerung, Familien aufzunehmen. Letztlich muß man die Ausländer/Inländer-Isolierung aufheben. Wenn das gelingt, ist es ein wichtiges Zeichen. Das hat viel mit zivilem Ungehorsam zu tun. Wenn jemand hier fünf, sechs Jahre lebt, entwickeln sich Bindungen. Die Menschen werden es dann nicht mehr zulassen, daß dieser Ausländer abgeschoben wird.

An diesem Punkt ist aber auch der Staat gefragt.

Ja, es ist schrecklich, in welcher Kälte der im Augenblick das Ausländerrecht exekutiert. Ich will diesen Staat nicht. Und viele Menschen wollen diesen Staat auch nicht. Wir müssen lernen, von unten her das Gegenteil aufzubauen. Interview:

Henry Vogt/Hansawelle Bremen