Kanzleramtsminister Schmidbauer kann lesen

■ Zwei Vorlesestunden von Schmidbauer im Plutoniumausschuß werfen neue Fragen zum Atomgeschäft von München auf und lösen auch die alten nicht

Bonn (taz) – Um auch bloß kein falsches Wort zu sagen, hatte sich Bernd Schmidbauer einen langen Vortragstext ausgearbeitet. Fast zweieinhalb Stunden hielt der Geheimdienstkoordinator aus dem Kanzleramt eine ermüdende Vorlesung mit altbekannten Dementis. Eine „Meisterleistung“, stöhnte Gregor Gysi (PDS), der Staatsminister habe „zweieinhalb Stunden geredet und nichts gesagt“. Im Prinzip „nichts Neues“ konnte auch der Ausschußvorsitzende Friedrich (CSU) ausmachen, außer daß es jetzt widersprüchliche Aussagen darüber gebe, wie häufig, wann und worüber Schmidbauer während der Schmuggelaffäre direkt mit der damals ermittelnden Münchener Oberstaatsanwaltschaft sprach – also möglicherweise auf laufende Ermittlungen Einfluß nahm. Damit sind die Hintergründe des Plutoniumschmuggels aus Moskau zum Münchner Flughafen, den die Behörden damals als großen Erfolg feierten, so ungeklärt wie zuvor.

In der Befragung dementierte Schmidbauer zwar die Schlagzeile der taz vom 13.1., daß der BND eine „Lizenz zum Putoniumschmuggel wollte“, sagte aber nichts zu einem entsprechenden Außenministeriumsvermerk, auf dem die taz-Meldung beruhte. Als „sehr hilfreich“ bezeichnete er es aber, wenn der BND Plutoniumproben auf dem Schwarzmarkt erwerben könnte. Genehmigt worden wäre das aber nicht, und inzwischen käme der Dienst „anders“ zurecht. Eindringlich beschwor er die Gefahr illegalen Plutoniumhandels seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und betonte, wie unverantwortlich es sei, BND-Mitarbeiter so demotiviert zu haben wie „durch solche Debatten“. Das füge dem Ansehen des BND großen Schaden zu.

Dann schilderte er, wie intensiv er sich informieren ließ, als es um vorangegangene Plutoniumschmuggelfälle ging, etwa dem Fall „Rosenbaum“ 1993. Damals ging es um eine mögliche Lieferung aus Polen: „Damit war ich direkt befaßt“, so der Staatsminister. Mißtrauisch stimmte das den SPD-Abgeordneten Bachmaier, denn der Plutoniumdeal in München wurde Schmidbauers Schilderungen zufolge von ihm wesentlich uninformierter verfolgt. In der heißen Phase des Geschäfts fuhren Geheimdienstkoordinator und BND- Präsident Porzner sogar in Urlaub. Schmidbauer räumte gestern aber ein, in dieser Zeit täglich mit seinem Stellvertreter Dolzer im Kanzleramt telefoniert zu haben. Am 15. Dezember hatte er aber noch auf einer Pressekonferenz behauptet, zur fraglichen Zeit unerreichbar gewesen zu sein. „Evidente Widersprüche“ machte SPD-Obmann Bachmaier aus. Darüber kam es zum offenen Streit der Ausschußmitglieder. Die Unionsvertreter bestanden darauf, die Befragung noch bis in die Nacht fortzusetzen. SPD, PDS und Grüne forderten dagegen eine Vertagung, um das Schmidbauer- Referat zunächst mit den Akten zu vergleichen.

Bis tief in die Nacht hatte am Vortag die 13stündige Vernehmung des BND-Chefs Konrad Porzner gedauert, ohne wesentliche neue Erkenntnisse zu bringen. Porzner gestand allerdings ein, daß BND-Mitarbeiter das Vorgehen beim Scheinankauf in München „miterörterten“, also nicht nur „in Amtshilfe“ Zaungäste beim Landeskriminalamt waren. Holger Kulick