Feldherr in der Dose

■ Die Galerie Herold hat keine Berührungsängste: Aldi, Caravaggio, Klimt - alles geht in der alten Matratzenfirma

Allein der Weg ist verwegen. Man folge dem Neustadtswall, bis er nur noch Sackgasse ist. Passiere die Schnapsbrennerei Güldenhaus. Überquere den Hof einer ehemaligen Matratzenfabrik. Ducke sich unter einer blauen Stahltür. Vorbei an Holzscheiten, Mülltonne, Kühlschrank, Motorrädern. Noch ein paar Treppenläufe. Und schon stehen Neugierige da, wo bis Ende Januar Judith mordend wütet. Am Freitag hatte die Galerie Herold unter dem Motto „Judith enthauptet Holofernes“ zur Vernissage geladen. Und wie seit einem guten Jahr in dieser jungen Galerie üblich, wurde wieder mal eine große Party draus mit Techno, Trip-hop und Ambient House.

Vor eineinhalb Jahren hatten 18 KünstlerInnen den Lagerraum der ehemaligen Matratzenfabrik entdeckt, in die bereits andere Künstler, Pictor Verlag und Werkstatt Galerie eingezogen waren. Das war der Start für die Galerie. Von der Matratzenfirma wurde kurzerhand der Name übernommen. Seitdem finden hier Monat für Monat Ausstellungen, Lesungen, Musikaktionen statt. Auch Kunstauktionen, bei denen Geschäfte nicht etwa mit Deutscher Mark, sondern mit hauseigenen „Güldentalern“ gemacht werden. Vermieter ist schließlich die Kornbrennerei Güldenhaus.

„Wir haben keine weiß getünchten Wände wie andere Galerien“, erzählt Herold-Mitglied Daniel Orlando. „Wir haben nicht den sicheren Strich der Werkstatt Galerie ein Stockwerk tiefer. Wir stehen auf Experimente.“ Und für Experimente eignet sich der 200 Quadratmeter große Lagerraum unter dem Dach bestens. Fabrikhallenatmosphäre. Die Wände sind unverputzt. Stahlträger und Betonplatten der Decke werden von groben Pfeilern gestützt. Wo sich einst Matratzen stapelten, sind noch Holzschilder zu sehen.

Geld hat der Galerieverein kaum. Perfektion ist weder möglich noch gewollt. Statt Rahmen wurden Plexiglasplatten an die Wand gedübelt. Papierzettelchen mit den KünstlerInnennamen sind mit Tesa an die Backsteinmauern gepappt. Wer von den etwa 100 BesucherInnen am Freitag sitzen wollte, mußte den Kampf um einige wenige Sisalballen in der Mitte der Halle antreten.

21 Uhr: Der Abend begann mit einer Ansprache. Und das Publikum, fast alles StudentInnen, fast alle in schwarz, hörten aufmerksam zu. Denn für den Fall, daß in Sachen Altes Testament vielleicht doch nicht alle fit waren, erzählte Galerie-Initiator Olaf Schulz, genannt Schulle, salopp die Story von der ebenso frommen wie schönen Witwe Judith, die Nebukadnezars Feldherrn Holofernes köpft und damit das Städtchen Bethulia befreit. „Das Thema hat das 16. Jahrhundert beschäftigt“, sagte der Kulturwissenschaftsstudent, „dann um 1900 Klimt, später Beuys und heute uns.“

Die Message kam rüber. Die Galerie Herold, in diesem Fall zehn junge KünstlerInnen, meist von der Bremer Kunsthochschule, schließt an die Großen der Kunst an. „Jung, dynamisch,untergründig“ soll es sein, so Schulles Ziel. Also hat Sirma Kekeç, einer der Beteiligten, ein Daumenkino geschnipselt und gedruckt. Wer die kleinen Bücher durch die Finger sirren ließ, wurde Zeuge des grausigen Schwerthiebs der Judith. Und wer es noch genauer wissen wollte, wurde beim artigen Durchblättern eines zweiten Büchleins belehrt über die Moral von der Geschicht: „Traue Judith nicht.“

Einzeln traten die BesucherInnen in den Schrein des Schreckens, den Hüsnü Cal, weiteres Herold-Künstler, spontan errichtet hatte. Außen Wände aus Tageszeitungen, innen ein Altar und Totenlichter in Erinnerung an ein Massaker und Enthauptungen in Kurdistan.

Und wer eher auf Ikonografie und Ikonologie der klassischen Kunstgeschichte aus war, fand nebenan im Judith-Fries die Erfüllung.

Zart mit Bleistift gezeichnete Frauengestalten von Cranach und Caravaggio ließen sich ausmachen, während am anderen Ende der Halle an Ketten Ölbilder hingen, deren rote Farbschlieren auf Gewalt verweisen. Bevor die eigentliche Party begann, schließlich noch ein vertontes Drama von Alexander Schwarzkopf mit improvisierter Musik und Text rund um Mord, Krieg und Kampfmaschinen.

Daneben gab's auch Ironisch-Vergnügliches. Die Ermordung des Holofernes beispielsweise, durch Duplofiguren nachgestellt. Zudem eine Umfrage per Kopfhörer zu Gewalt, Sex und Verrat. Und die Personifizierung von Feldherr und Witwe durch Fundstücke aus Sperrmüll und Studentenzimmer. Kaum jemand, der nicht erschauderte vor Holofernes, den Daniel Orlando aus Kaktus, Militärstiefel und Stacheldraht zusammengebaut hatte. Und entzückt war von Judith, die kokett mit Handschuh, Kette, Strapsen und Stöckelschuh charakterisiert wurde.

Für alle, denen der kunstgeschichtliche Exkurs an diesem Abend nicht auf den Magen geschlagen war, hielt die Galerie Herold schließlich sogar ein Souvenir bereit. Dosen mit dem Fleisch vom werten Holofernes nebst Salz, Gewürzen, Natriumglutamat zum „Smiley-Preis“ von fünf Mark. In Wirklichkeit handele es sich um Gulaschdosen von Aldi, hatte der Künstler zu später Stunde verraten: „Das schmeckt beschissen, knochig, zäh. Da sind immer nur zwei Stücke Fleisch drin. Der Rest ist Soße.“ Gekauft wurde trotzdem, um für den Heimweg über Stiegen, vorbei an Motorrädern und entlang dem Neustadtswall gewappnet zu sein.

Sabine Komm

Bis 31. Januar am Neustadtswall 61 a, Mo-Do 19-22 Uhr, So 15- 19 Uhr.