: Abgasschlote direkt vor dem Fenster
An der Rummelsburger Bucht soll das größte Abfallentsorgungszentrum mit Müllverbrennungsanlage entstehen. Selbst der Bauherr hat Bedenken wegen der angrenzenden Wohnhäuser ■ Von Marcus Franken
Nein, sagt der alte Mann, dagegen kann man nichts machen. „Die machen mit uns doch sowieso, was sie wollen, genau wie in der DDR.“ Aus seinem Fenster im zweiten Stock sieht man die Schornsteine des Kohlekraftwerks an der Rummelsburger Bucht. Zwischen dem Kraftwerk und seiner Häuserzeile liegt eine große Industriebrache. Schrott und Müll und Schuttcontainer liegen auf dem verseuchten Boden umher. An das abgerissene Gaswerk und die Kokerei erinnert nur noch das verseuchte Erdreich. Dessen Sanierung wird etwa 200 Millionen Mark kosten. Der Gestank von Gaswerk und Kokerei ist ebenso Vergangenheit wie der Staub vom stillgelegten Zementwerk auf der anderen Seite der Köpenicker Chaussee.
Dafür fürchten die Bewohner der Häuserzeile jetzt neues Unglück: Der Umweltsenator hat das alte Kokereigelände am Blockdammweg als einen idealen Standort für mehrere Abfallentsorgungsanlagen entdeckt. Gemeinsam mit dem Berliner Elektrizitätsversorger Bewag, dem das Grundstück gehört, soll hier Berlins größtes Abfallentsorgungszentrum errichtet werden. Der Amtliche Abfallentsorgungsplan für Berlin sieht für das gut 20 Hektar große Areal Behandlungsanlagen für Bioabfälle und eine Sortieranlage für Gewerbeabfälle vor. Vor allem aber soll hier eine Müllverbrennungsanlage (MVA) entstehen, die zusammen mit der bereits bestehenden Anlage in Ruhleben und der ebenfalls geplanten MVA in Neukölln den Kern der Abfallpolitik bildet: Die Müllöfen sollen ab 2005 jährlich etwa 900.000 Tonnen Abfall verfeuern.
Auf das alte Kokereigelände an der Rummelsburger Bucht sind die Abfallplaner verfallen, weil es gut mit dem Zug und sogar mit dem Schiff zu erreichen ist. Und die heißen Dämpfe, die in den Kesselhäusern der Müllverbrennungsanlage gewonnen werden, könnten nebenan im Kraftwerk verstromt werden. Weil alles so günstig erscheint, will man hier nicht kleckern, sondern klotzen: Die Müllverbrennungsanlage soll 365.000 Tonnen Berliner Abfälle pro Jahr verarbeiten und die Bioabfallanlagen sollen gemeinsam mit der Gewerbeabfallsortierung weitere 190.000 Tonnen Müll verarbeiten. 1992 produzierte Berlin insgesamt 2,4 Millionen Tonnen Müll, die aber bis 2005 auf die Hälfte verringert werden sollen.
Die Bewag ist ein williger Bauherr: Wie andere Energieversorger will sie ihre sorgsam angesparten Strompfennige im lukrativen Geschäft mit dem Müll gewinnbringend anlegen. In den Vorplanungen hat die Bewag darum schon 1994 geprüft, ob sie die Müllverbrennungsanlage auf ihrem Anwesen auch auf 525.000 Tonnen Müll erweitern kann. In einem internen Papier der Schweizer Firma „Ecoling AG“ wurde diese Anlagengröße als Maximaloption für den Standort Lichtenberg beschrieben. Eine solche Anlage wäre dann sogar größer als der Anlagen-Saurier in Ruhleben, in dem die Berliner Stadtreinigung (BSR) einen Teil der Westberliner Abfälle verbrennt.
Bei der Bewag hält man sich bedeckt: „Wir sind in der Projektfindungsphase“, sagt Armin Bechtold aus der Abteilung „Projekt Recycling“. Ein anderer Bewag-Mitarbeiter ergänzt: „Wir wissen noch nicht, was wir bauen, aber wir wissen, daß wir nicht so bauen werden, wie der Amtliche Entsorgungsplan das vorsieht“: Die geplante Anlage werde kleiner als 500.000 Tonnen, und vor allem werde es die im Entsorgungsplan vorgesehene Sortieranlage für Gewerbeabfall nicht geben. Schließlich gebe es bei der Entsorgung von Gewerbeabfall in Berlin bereits Überkapazitäten, eine weitere Anlage werde nicht gebraucht.
Die Vorplanungen, die die Bewag im Dezember auf dem „Internationalen Recycling-Fachkongreß“ im ICC präsentierte, sind allerdings geeignet, die Anwohner zu ängstigen: Drei große Hallen mit weit überragenden Spanndächern reihen sich parallel zum Blockdammweg auf, stoßen rücklings an das Bahngelände und mit dem Kopf bis an die niedrige Mauer, die das Abfallzentrum von den Vorgärten der Nachbarn trennt. Hier recken sich auch die filigranen Schornsteine in den Himmel; nur noch 40 Meter von der Haustür des alten Mannes entfernt.
Wenn auch noch nicht klar ist, welche Anlagen am Blockdammweg im einzelnen gebaut werden: Die Vorplanung sieht vor, daß bei Realisierung der MVA mit einer Kapazität von 365.000 Tonnen täglich mindestens 500 schwere Laster über die Einfahrt am Blockdammweg auf das Gelände fahren werden; und ebenso viele wieder zurück. Eine „erhebliche Verkehrsbelastung“ prognostiziert der Amtliche Entsorgungsplan; anschaulicher meint ein Anwohner: „Da fällt denn det janze Haus zusammen.“
Auch die Verantwortlichen bei der Bewag sind sich der Probleme bewußt: Letztlich gehörten Wohnhäuser und Abfallentsorgungsanlagen nicht so dicht nebeneinander, hieß es von leitenden Bewag- Mitarbeitern auf dem Recycling- Kongreß. Man müsse sich Gedanken machen, wie die Gegend um den Blockdammweg langfristig gestaltet werden soll. Informationsveranstaltungen für die Bürger seien geplant. Schließlich müsse man versuchen, sich einvernehmlich und zum gegenseitigen Vorteil das Leben zu erleichtern.
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