: Keine gerechte Lösung / betr.: "50 Mark im Monat für baltische Juden", taz vom 6./7.1.96
Laut Spiegel vom 8. 1. 96 weiß die Bundesregierung nicht, woher sie die 2,3 Milliarden DM für Rentenzahlungen an zirka 35.000 vertriebene Juden nehmen soll, zu denen sie nach dem Londoner Schuldenmoratorium nun spätestens seit der Wiedervereinigung und Wiedererlangung der vollen Souveränität verpflichtet ist. Es geht um die Überlebenden von zirka 300.000 bis 500.000 deutschen Juden aus den ehemals von den Nazis besetzten Ostgebieten.
Bundeskanzler Kohl und Sozialminister Blüm möchten die Rentenkasse zahlen lassen, andere verweisen an die Gemeinschaft aller Steuerzahler, während Minister Blüm fürchtet, daß sich dann Zahlmeister Waigel die Zusatzausgaben über Einsparungen beim Sozialetat wieder hereinholen würde. Wieder andere Abgeordnete der Regierungskoalition scheinen aus Furcht vor der Reaktion der Stammtische in den heimischen Wahlkreisen solchen Zahlungen gänzlich abgeneigt.
Der Zugriff auf die Rentenkasse allein ist am leichtesten, aber es ist nicht die gerechteste Lösung. Denn die gesamte Gesellschaft ist haftbar für das, was die vorige Generation getan und zugelassen hat, nicht nur die Rentenbeitragszahler. Auch nicht nur, auf dem Umweg über Einsparungen, die Sozialhhilfeempfänger.
Hat man nicht von reichlichen Gewinnen deutscher Unternehmen aus Arisierungen und Zwangsarbeit gehört, die heute noch in diesen Unternehmen stecken, auch deshalb, weil viele individuell anspruchsberechtigte Vorbesitzer oder Zwangsarbeitshäftlinge umgebracht wurden und nichts mehr einklagen konnten?
Sollten sich solche Firmen nicht mit einem spürbaren Zeichen aktiver Reue, die auch finanziell weh tun darf, an einem Ausgleichsfonds beteiligen, und das nicht als ersatzweise Pauschalabgeltung für Wiedergutmachungszahlungen an überlebende Zwangsarbeiter, zu denen sie ohnehin verpflichtet sind? Damit das aber möglich wird, müßte es eingebettet sein in eine gemeinsame, offen propagierte Anstrengung der ganzen Gesellschaft, die dann auch Zahlungen aus der Rentenkasse mit einbeziehen könnte. [...] Otto Humburg, Bonn
betr.: „50 Mark im Monat für baltische Juden“, taz vom 6./7. 1. 96
[...] Wer kann mir erklären, wieso es möglich ist, zum Beispiel eine Milliarde für Nazi-Opfer in den GUS-Staaten, 500 Millionen in Polen oder drei Millionen Dollar in den USA für elf NS-Geschädigte lockerzumachen, aber den etwa 400 überlebenden ehemaligen KZ- Häftlingen im Baltikum pro Monat 50 DM für gerade mal zwei Jahre anzubieten? Wer kann mir außerdem erklären, daß seit Jahren genügend Geld zur Verfügung steht, um baltischen SS-Veteranen – und damit NS-Tätern – Renten zwischen 200 und 300 DM monatlich auszuzahlen?
Daß private Spendensammlungen einfach dazu benutzt werden sollen, sie nun durch die Bundesregierung um rund 300.000 DM „aufzustocken“, ist ebenfalls empörend. Wir haben mit diesen Aktionen immer wieder betont, daß sie kein Ersatz für den Entschädigungsanspruch gegenüber der Bundesregierung sind, sondern nur als Überbrückung dienen sollten, bis den alten, kranken Juden ihr Entschädigungsanspruch anerkannt wird!
Leider müssen wir nun nach diesem trostlosen Ergebnis der Ablehnung einer offiziellen Entschädigung (von „Wiedergutmachung“ zu sprechen, wäre zynisch) weiterhin um Spenden bitten. Hier mein Spendenkonto, das ich vor gut einem Jahr einrichtete: W. Balbarischky, Konto-Nr. 1605222, Kreissparkasse Tübingen, BLZ 641 500 20. Ohne jeden Abzug gingen bisher 45.000 DM an den „Verein ehemaliger jüdischer Ghetto- und KZ-Häftlinge Lettlands“ in Riga. Das Geld wird gleichmäßig an die jetzt noch 98 Mitglieder verteilt. Waltraud Balbarischky,
Tübingen
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