Lohndrücker auf roten Schiffen

Im Hamburger Hafen herrscht Krieg. Deutsche Schlepper fürchten niederländische Konkurenz. Mit aufheulenden Motoren jagen sie den Billiganbietern wendig hinterher  ■ Von Bord des fetten Schleppers „Resolut“ Jan Feddersen

Kurz vor zwei Uhr am Nachmittag biegt der Schlepperverband von der Norderelbe in den Vulkanhafen ein, mitten hinein in das Labyrinth aus Hafenbecken, Kaianlagen und Kanäle. Vorneweg die „Resolut“, ein knapp 3.000 Bruttoregistertonnen fetter Schlepper, breit wie ein Doppelhaus, vier Etagen hoch. Es ist diesig über der Elbe. Und kalt. Die Schiffe der Armada pflügen das Wasser um, wendig kreuzen sie durch das Hafenbecken. Und plötzlich schreit es vom Bug der „Resolut“: „Da vorne sind sie!“

Das Boot nimmt fauchend Tempo auf. Gleich vier Objekte der Begierde erregen den Zorn der Besatzung: Schlepper aus den Niederlanden, Heimathafen Rotterdam. Unter dem frischgestrichenen orangefarbenen Seitenteilen schimmert noch der Schriftzug des vormaligen Heimathafens Nassau durch. Keine hundert Meter mehr, aber bevor die zehn Hamburger Schlepper ihre niederländischen Kollegen erreichen können, haben die schon vom Kai abgelegt.

Schlepper sind wendig. Statt behäbiger Ruder rotieren unter dem Schiffsboden eine Art Scherblätter. Schlepper sorgen dafür, daß die großen Pötte an die Kais anlegen und unfallfrei in die Docks einfahren. Schlepper sind die Tänzer unter den maritimen Fahrzeugen. Aus voller Geschwindigkeit von 28 Knoten (43 km/h) kommen sie binnen dreißig Metern zum Stillstand.

Die vier Mannschaften, die seit dem 1. Januar für die niederländische Firma Kotug im Hamburger Hafen um Kundschaft buhlen, ahnen, was die Hamburger Kollegen mit ihnen an diesem nebligen Donnerstag vorhaben. Ewald Raab, seit 27 Jahren als Kapitän auf seiner „Resolut“ tut harmlos: „Wir wollen doch nur mit den Holländern reden.“ Das ist ernst gemeint und doch nur ein Scherz: Wie will er mit den Kollegen auf der ZP „Condon“, der „Montali“, der „Chalon“ oder der „Caymus“ sprechen, wenn er sie nicht einkesselt? Denn auf die niederländische Schiffe dürfen er und seinesgleichen, Hafenarbeiter aus Hamburg und Gewerkschaftsmitglieder, nicht. Sie könnten ja die Arbeiter auf den Billigschleppern dazu überreden, in die Gewerkschaft einzutreten und davon überzeugen, nicht für den halben Preis zu arbeiten, nicht für 12 Mark pro Stunde, sondern für die tariflich geltenden 23,50 Mark.

Also will Raab das niederländische Quartett daran hindern, sich davonzumachen. Die Orangegestrichenen türmen. Raab und seine Kollegen hetzen hinterher. Eine Stunde lang werden einlaufende Schiffe nur noch von einem Notservice bedient: Was zählt, sagt Ewald Raab, ist die passende Reaktion auf das, was man ihm und seinen Kollegen antut – die schleichende Vernichtung von Arbeitsplätzen.

Als die ZP „Montali“ nur knapp einer Kollision mit der „Resolut“ entgeht, sind sich beide Schiffe gefährlich nah – in Rufweite voneinander entfernt. Am Bug der „Resolut“ winken sieben Männer wütend zur „Montali“ hinüber. Einer schreit: „Verräter“, ein anderer: „Ihr seid blöd“, ein Dritter senkt seinen Daumen nach unten und ruft: „Lohndrücker“.

Matthias Kuntze, der heute eigentlich frei hat, guckt der Hetzfahrt mucksmäuschenstill von der Reeling aus zu. „Wir stehen hier alle mit dem Rücken an der Wand“, sagt er. Der 21 Jahre alte Hafenfacharbeiter, der erst vor vier Jahren einen 80.000 Mark teuren Kurs hat machen dürfen, um die millionenteuren Gerätschaften auf den Containerterminals bedienen zu können, weiß, daß Leute wie er auf dem Arbeitsmarkt chancenlos sind. Hafenarbeiter sind eben nur in einem Hafen zu gebrauchen. Auch widerlegt der Mann, der aus Solidarität bei der Protestaktion mitmacht, das Vorurteil, daß Leute seines Schlages ohne Qualifikation anheuern könnten. Er mußte einen Führerschein KlasseII und einen Kfz- Mechanikerbrief mitbringen, ehe er vor fünf Jahren bei der Gesamthafenbetriebsgesellschaft anheuerte.

Matthias Kunze kommt aus einer der aussterbenden Hafenarbeiterdynastien: Vater seit 38 Jahren im Hafen, sein Zwillingsbruder ebenso. Für ihn war es nach dem Fachabitur und der Bundeswehr selbstverständlich, im Hafen nach Arbeit zu suchen: „Ich finde das gut hier. Das ist nicht falsch.“

Mit allen Zulagen kommt er auf 3.500 Mark im Monat. Sein halbstaatlicher Arbeitgeber würde ihn wie die meisten seiner Kollegen aus den Verträgen entlassen – um sie gleich danach zum billigeren Speditionstarif wiedereinstellen zu können: „Wir können uns ja jetzt schon nicht leisten, in die Innenstadt zu ziehen“, sagt er. Und wenn seine Freundin mal auf die Idee käme, Kinder zu bekommen, müßte er passen: „Da wüßte ich nicht, wie ich das finanzieren soll.“

Bei Speditionen käme er auf knapp tausend Mark im Monat weniger, „da wäre dann selbst ein Urlaub nicht mehr drin, selbst dann nicht, wenn man wie wir im Campingbus wegfährt.“ Darüber hinaus wären auch die Speditionen nicht krisensicher: „Wer weiß, ob in zehn Jahren nicht nur die Binnenschiffer unter den billigen polnischen Löhnen leiden, sondern auch die deutschen Kollegen – die dann ja nicht mehr gebraucht würden.“

Immerhin stünde er vorläufig noch in Lohn – was nicht allen Kollegen so gehen würde, die jetzt noch auf Schleppern arbeiten. Noch sind es 150 in Hamburg, 200 weniger als vor zehn Jahren. Schon vor drei Jahren kündigte die niederländische Reederei Kooren an, in Hamburg nach Kundschaft Ausschau zu halten – aber wer glaubte denn schon an den Erfolg der Werbung? Am wenigsten die Gewerkschaft. Zu fest vertraute man auf die Sozialpartnerschaft und die regierenden Sozialdemokraten. Doch sowohl das Bundesverkehrsministerium als auch die Hamburger Wirtschaftsbehörde legten sich nicht quer, als die Rotterdamer Reederei drängte, den Plan in die Tat umzusetzen – was zählen schon 150 deutsche Schlepperarbeitsplätze, wenn billigere Konkurrenz noch dazu verhilft, Hamburg als Hafenstandort attraktiver zu machen?

Die Protestierenden diktieren in alle Reporterblöcke, daß der Containerumsatz im vergangenen Jahr um 13 Prozent gestiegen ist, Investitionen im Hafenbereich, wie sie der Hamburger Wirtschaftssenator Erhard Rittershaus von der Statt-Partei gestern noch auf der Grünen Woche in Berlin versprach, aber keinen einzigen Arbeitsplatz mehr bringen müssen.

Unumwunden freuen sich die Hamburger Schlepper- und Bugsierfirmen wie die der Preussag gehörenden Lütjens & Reimers über die niederländische Konkurrenz: Sie wollen sie zwar wie ihre Arbeiter kleinkriegen, doch später müßten sie geringere Löhne zahlen. Noch sitzen sie also alle im gleichen Boot, sofern sie nicht aus Rotterdam kommen. Natürlich haben Ewald Raab, Matthias Kuntze und all die anderen Verständnis für die langzeitarbeitslosen Seeleute aus Rostock, die nun auf den holländischen Schleppern fahren – „die wollen ihren Kindern endlich auch mal stolz die Lohntüte zeigen und alle Begehrlichkeiten stillen, die die Schaufenster nun mal wecken“, sagt Ewald Raab.

Raab, der noch acht Jahre braucht, um die Hypotheken seines Hauses im schleswig-holsteinischen Brokstedt abbezahlt zu haben und der sich gar nicht erst mit dem Gedanken befassen will, von der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg alimentiert zu werden, hofft auf die Einsicht der Tarifpartner: „Niemand in Hamburg kann ein Interesse daran haben, unsere Firmen kaputtzumachen. In Bremen hat man doch gesehen, wie es funktioniert – nämlich gar nicht.“ Dort trieben niederländische Baggerfirmen die bremischen Firmen mit ihren Preisen in den Konkurs. Und als sie dann den Markt allein beherrschten, zogen sie die Preise um 30 Prozent über den vorher geltenden Tarif an.

Der Kapitän, der die Ruhe ausstrahlt, die den Leuten seines Berufs geziemt – immer alles im Griff, selbst knifflige Manöver ganz lässig ausführend –, wiederholt schließlich doch am Ende der einstündigen Demonstration die Formulierung, die ein ÖTV-Funktionär auf der Hafenarbeiterversammlung am Vormittag eingebracht hat: „Man sagt uns nicht die Wahrheit. Man hält uns hin. Man behandelt uns, wie wir gern hätten, daß man mal die Reichen bei uns behandelt.“ Nach einer letzten Wende auf der Elbe, zurück an den Landungsbrücken, wird er sehr nüchtern. „Wir möchten keine französischen Verhältnisse. Aber die meisten meiner Kollegen haben ja keine Perspektive. Niemand soll sich wundern, wenn wir uns bis zum letzten wehren.“

Anderntags verläuft die nächste Protestaktion unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Ein Frachter der Maersk-Reederei, eine der 15 Schiffahrtslinien, die Ende des Jahres aus den Verträgen mit Hamburger Bugsierfirmen ausgestiegen sind, um bei den Niederländern zu unterschreiben, wurde nachts nur schleppend betreut – die Ladung wurde nachgerade im Zeitlupentempo gelöscht. Prompt folgte die Reaktion auf diesen Dienst nach Vorschrift: Bei den Schleppermaklerfirmen liefen die Telefone heiß.

Der Krieg geht weiter. Kuntze sagt sehr leise: „Es muß schon viel passieren, daß Hafenarbeiter die Geduld verlieren. Wir haben keine Wahl. Es geht nicht um irgendeinen Spaß.“ Hoffnungslos geben sich die Hamburger Seeleute nicht: „In London“, sagt Kuntze, „haben die Niederländer auch versucht, in den Markt einzubrechen. Nach einem Jahr haben die wieder den Schwanz eingekniffen.“